Jungärzte haben befristete Verträge und sind angestellt. Ihre Interessen sind daher in der Ärztekammer unwichtig! – doch was heißt das für das System?
Ein abgeschlossenes Medizinstudium macht noch lange keinen Arzt. Um eigenverantwortlich arbeiten zu dürfen, ist in Österreich jedenfalls eine postpromotionelle Ausbildung, die dazu dienen soll, theoretisches Wissen in der Praxis umzusetzen – der „Turnus“. Er ist Pflicht.
Vor allem Ärzte in Ausbildung zum Allgemeinmediziner, den zukünftigen Hausärzten, kurz Turnusärzte genannt, erhalten ebendiese Ausbildung schon lange nicht mehr. Ihr Alltag wird bestimmt vom Spritzen geben, Infusionen verabreichen, Blutdruckmessen und EKG schreiben – Tätigkeiten, die international üblicherweise von Pflegepersonal durchgeführt werden. Dazu kommen Unmengen an organisatorischen und administrativen Tätigkeiten, wie etwa die Veranlassung von, von anderen angeordneten, Untersuchungen oder das Diktieren von Arztbriefen für Patienten, die die künftigen Hausärzte oft nie zu Gesicht bekommen haben (weil Oberärzte ihre Briefe meist durch Turnusärzte erledigen lassen). In manchen Krankenhäusern ist die Zeit sogar so knapp, dass Turnusärzte die Visite, die in Fächern wie der Inneren Medizin das Herzstück spitalsärztlicher Arbeit darstellt, nicht besuchen können. Gar eigene Patienten unter Supervision eines Facharztes (wie international üblich)? – Fehlanzeige. Eine standardisierte Vermittlung von Inhalten, die für einen Hausarzt in der Praxis von Bedeutung wären? – Fehlanzeige.
Auch wenn Abteilungen, die ein Turnusarzt durchläuft, irgendwo ein Ausbildungskonzept liegen haben, wird dies nur in wenigen Fällen auch umgesetzt. Und das ist durchaus verständlich. Denn, während ein angehender Facharzt in der Regel mehrere Jahre an der Abteilung bleibt und mit zunehmender Erfahrung ein wichtiger Teil des fachärztlichen Teams wird, wechseln die künftigen Hausärzte im Zuge ihrer Ausbildung alle paar Monate die Abteilung. Entsprechend gering ist das Interesse, Zeit und Energie in die Ausbildung dieses temporären Personals zu investieren.
Doch wer wird das Herzstück eines gut organisierten Gesundheitssystems sein, wenn nicht die Hausärzte? Und das führt weiter zur Frage: Wer hat die jetzige und für das System üble Situation zugelassen? Die Antwort ist simpel! Die Ärztekammer, denn diese ist für die Ausbildung zuständig. Doch einmal ehrlich! So wie die Gewerkschaften prekäre Arbeitsverhältnisse nicht wirklich interessieren, sind Ärztekammern, denen eigentlich nur die Kassenverträge wichtig sind, junge und dazu noch angestellte Ärzte egal. Der einzige Grund, warum die Ausbildungsordnung wichtig ist, ist der, dass man so die „Ressourcen“ steuern kann. Damit kann man sicherstellen, dass etablierte Ärzte nicht durch irgendwelche „Newcomers“ Konkurrenz kriegen.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die scheidende Ministerin, die selbst einmal Turnusärztin war, den Ärztekammern wesentliche Kompetenzen in der Ärzteausbildung aberkennen will: ÄK-Präsident Dorners Furcht vor einem „Guantanamo für Ärzte“ ist zum jetzigen Zeitpunkt für Turnusärzte jedenfalls nur schwer nachzuvollziehen. Diese sehen sich als mit Routinetätigkeiten überfrachtete, billige Systemerhalter, deren Ausbildung nicht mehr schlechter werden kann. Auch wenn eine Neuordnung der Ausbildungskompetenzen nicht bedeutet, dass sich ihre Situation verbessert, dürfen sie aber hoffen. Die Ärztekammer hatte ihre Chance, eine Ausbildung im Sinne der Auszubildenden und ihrer künftigen Patienten zu gestalten – und hat sie vergeben.
Dieser Artikel wurde im Dezember 2008 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.