(Lesezeit 10 Min) Die Meldung kam für alle überraschend. Laut den ersten offiziellen Daten des Pflegeregisters, sind 141.096 Personen in einem Gesundheits- und Krankenpflegeberuf ausgebildet. Dazu zählen Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz. Diese Zahl ist erstaunlich hoch, und passt gar nicht in das Bild, das die Politik seit Jahren zeichnet.
So haben 2010 die Länder verbreiten lassen, dass in ganz Österreich ein akuter Mangel an Krankenpflegepersonal herrscht. 2014 verkündete der AK-Präsident Dr. Johann Kalliauer, der „Pflegekräftemangel ist viel dringlicheres Problem!“ als der von der Ärztekammer getrommelte Ärztemangel. 2018 meint Salzburgs Vizebürgermeisterin Anja Hagenauer zum Thema Pflegekräftemangel, dass man mit Vollgas gegen die Wand fahre, und 2019 sprach Erich Fenninger von der Volkshilfe das Problem des Personalmangels im Pflegesektor so an: „Österreich leidet an einem Pflegemangel. Wenn jetzt nicht die Weichen für die Zukunft gestellt werden, wird das katastrophal enden.“ Es verwundert nicht, dass bei soviel langjährigem Beschwören eines „Pflegenotstandes“, früher oder später mit „mehr“ reagiert wird, und auch alte Ideen ausgegraben werden, um dieses „mehr“ zu erreichen – etwa die Pflegelehre, die aber aus gutem Grund nicht eingeführt wird, und wie wir sehen werden auch nicht eingeführt werden muss.
Es wird also schon lange getrommelt, dass es zu wenig Pflegekräfte gibt, und seit mindestens 15 Jahren wird das im Wesentlichen damit erklärt, dass es immer schwerer wird Stellen zu besetzen. Fast ebenso lange wird diese Erklärung mit einer OECD- Statistik argumentiert, laut der wir nur acht Pflegekräfte auf 1.000 Einwohner haben, und damit im EU-weiten Vergleich in der unteren Hälfte liegen; und ebenso lange wird die Fußnote dieser Statistik ignoriert: dort steht, dass Österreich nur die Spitals-Pflegekräfte meldet.
Solche Details waren unerheblich, und eine echte Erhebung, wie viele Pflegekräfte es denn wirklich gibt, und ob es sich eher um ein qualitatives (Attraktivitäts)problem der nicht besetzbaren Stellen, denn ein quantitatives Problem vorhandener Pflegekräfte handelt, schien niemanden wirklich zu interessieren – sonst hätte man längst die dazu nötigen Daten erhoben. Eine politische Erklärung war gefunden, und die hieß, es gibt zu „wenig“, es muss „mehr“ werden. All das erinnert sehr an die Sitaution der MedUnis und dem Wunsch nach mehr Absolventen, um dem Kassenärztemangel (s.u.) zu begegnen.
Nach Jahrzehnten der Diskussion hat sich die Politik aber doch durchringen können (wohl auch, weil spätestens seit 2005 die EU darauf pochte), auch bei uns ein Pflegeregisters (eigentlich ein Gesundheitsberuferegister für alle nicht-ärztlichen Berufe) einzurichten. Und es wäre nicht Österreich, wenn das nicht (1) wieder endlos (14 Jahre) gedauert hätte und (2) die erhobenen Daten möglichst nicht durchschaubar sind.
Statt nun endgültig Klarheit in diesem Bereich zu schaffen, wurde das Register eben nur dahingehend eingerichtet, dass es „Berufsbefähigungsausweise“ ausstellen kann. Jeder, der eine Ausbildung nachweisen kann, erhält diesen Ausweis, ob er nun in der Pflege arbeitet oder nicht. Umgekehrt muss sich keiner, der eine Ausbildung in der Pflege hat, registrieren lassen, wenn er nicht vorhat, diesen Beruf auszuüben (das ist also ähnlich der Ärzteliste) – das Verzerrt das Ergebnis, will man damit Bedarfsplanungen vornehmen.
Und auch weitere Verzerrungen wurden zugelassen, oder einfach aus INtransparenzgründen sogar bewusst eingebaut. Denn die Pflege(fach)assistenz, die jetzt registriert werden muss, war früher die Pflegehilfe. In den Spitalsstatistiken wird diese Berufsgruppe aber nicht der Pflege zugerechnet, sondern den Sanitäts-Hilfsdiensten (die jetzt sinnigerweise Pflegehilfe und Sanitätshilfsdienste heißen). Dort aber vermischen sie sich mit anderen Assistenzberufen, die nicht der Pflege zugerechnet werden, etwa Labor- oder OP-Gehilfen. Damit kann man die „Pflegekräfte“ nicht eindeutige herauslesen.
Und auch in der extramuralen Pflege, also der außerhalb des Spitals, in Heimen und den mobilen Diensten, ist es nicht eindeutig möglich die Pflegekräfte zu identifizieren, da in der Pflegedienstleistungsstatistik Betreuungs-/Pflegepersonen undifferenziert ausgewiesen sind, also Pflegekräfte mit Sozialarbeitern, Heimhilfen etc. gemeinsam erfasst werden. Will man wissen, wie viele registrierungspflichtige Pflegekräfte hier arbeiten, sind mangels Daten ebenfalls Annahmen nötig.
Anders ausgedrückt, die Daten des Registers sind aus Sicht der Personalplanung eher „mau“, wie wenn es eigentlich das Ziel des Registers war, hier gute Daten zu liefern.
Was aber kein Wunder ist, bedenkt man die Historie dahinter. 2005, haben Politiker die Errichtung eines Registers der GÖG umgehängt, rein formal, und nur um der EU zu zeigen, sie machen das schon. Weil aber Ausführungsgesetze fehlten, ging vorerst nichts weiter. Dann wurde erstmals gestritten – so bis 2013, dann kam das erste Gesetz , das das Register alleine von der AK und ohne GÖG führen ließ, was aber wohl nicht ganz gut funktioniert hat, sind doch nicht wenige Gesundheitsberufe, etwa Physiotherapeuten, unternehmerisch tätig. Also wurde weiter gestritten und dann kam 2016 das nächste Ausführungsgesetz . Jetzt sollten GÖG und AK das Register gemeinsam führen.
Dann ließ man das Register bis 2018 errichten, dann gab es ein Jahr Einschreibefrist, und die lief am 30. Juni 2019 aus.
Am 1.Juli 2019, 14 Jahre nach dem Beschluss, das Register einzuführen, wurden dann die ersten Ergebnisse veröffentlicht. Leider war da niemand mehr aufnahmefähig; die Regierung war gesprengt, Ibiza in aller Munde und die Schulferien hatten gerade begonnen. Und wenn dann das Ergebnis auch so gar nicht in das Bild des „Pflegenotstands“ passt, darf man sich nicht wundern, dass keiner das Thema aufnahm – weder Journalisten noch Politiker.
Denn, diese 141.000 Pflegekräfte (Diplomierte Pflege, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz), die nun registriert sind, katapultieren uns ganz weit vor in genau dem OECD-Vergleich, der uns bisher als „unterbesetzt“ auswies. Legt man 141.000 auf 1.000 Einwohner um – so wie es die OECD macht – erleben wir, dass Österreich, nach Norwegen, die meisten Pflegekräfte hat. Verglichen mit der EU (8,4) schwimmen wir mit 15,9 pro 1.000 Einwohner geradezu in Pflegekräften.
Sowas geht gar nicht und deswegen war die Reaktion klar; Zuerst auf einschlägigen FB-Seiten und dann natürlich auch seitens der AK die diese 15,9 pro 1.000 EW als Äpfel-Birnen-Vergleich darstellte, und die Zahlen allesamt als falsch brandmarkte. Im Grunde also die gleiche Reaktion wie die Ärztekammer, wenn man sie mit OECD-Zahlen konfrontiert.
Schauen wir uns die Zahlen genauer an, lässt sich jedoch der OECD-Vergleich einfach nicht wegdiskutieren.
Wo sind all die Pflegekräfte?
Das Register weißt also 141.000 Personen auf, die, aus welchem Grund auch immer, einen Berufsausweis angefordert haben. Doch wo arbeiten diese Personen.
In Krankenanstalten
In der „Überregionale Auswertung der Dokumentation der landesgesundheitsfondsfinanzierten Krankenanstalten“ von „Krankenanstalten in Zahlen (KAZ)“ des Ministeriums findet man für das Jahr 2016 in den öffentlichen Akutspitälern und gemessen in VZÄ etwa 44.000 Diplomierte Arbeitskräfte und knapp 11.000, Personen die früher Sanitätshilfsdienste hießen, und hinter denen sich eine unbestimmte Anzahl an Pflege(fach)assistenten verstecken. Geht man jedoch arbiträr davon aus, dass das im Spital 90% sind, dann arbeiten 54.000 registrierungspflichtige Pflegekräfte-VZÄ in den öffentlichen Akutspitälern.
Dazu kommen jetzt jedoch noch die anderen Krankenanstalten, also jene für Rehabilitation aber auch die Privatspitäler. Dort genaueres herauszufinden ist nicht einfach. Hier findet man nur in den Übersichtstabellen von KAZ Hinweise. Demnach arbeiten etwas über 11.000 VZÄ der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe dort. Nimmt man arbiträr an, dass 45% den Pflegeberufen angehören, arbeiten dort noch einmal 5.000 registrierungspflichtige Pflegekräfte-VZÄ. Und warum nur 45%?
Einerseits ist der Großteil der Krankenanstalten dem Reha-Bereich zugeordnet, dort wird Pflege weniger eingesetzt, sondern mehr Therapeuten, und andererseits, weil es eine Meldung an die OECD gibt, die die Pflegekräfte in Spitäler (inklusive Hebammen) für 2016 mit 8,15 / 1.000 EW ausweist – das sind dann (nach Abzug der Hebammen) etwa 59.000 VZÄ, und genau das kommt bei den obigen Annahmen ebenfalls heraus.
Die Frage ist, wie viel Köpfe, denn das Register zählt nur Köpfe, sind 59.000 VZÄ? Auch dazu musste das Ministerium der OECD eine Antwort schicken: um diese 59.000 VZÄ zu besetzen, braucht es 70.000 Köpfe, was bedeutet, dass etwa 30% der in den Krankenanstalten tätigen Arbeitskräfte Teilzeit arbeiten.
In Pflegeheimen und mobilen Diensten
Um herauzufinden, wieviele der registrierungspflichtigen Pflegekräfte extramural arbeiten, liefert die Pflegedienstleistungsstatistik erste Hinweise . Hier werden Betreuungs- und Pflegepersonen in VZÄ ausgewiesen. Die Umrechnung auf Köpfe hat das WIFO vorgenommen und unter anderem in diesen Tabellen auf Seite 29 publiziert.
Diesen Tabellen ist zu entnehmen, dass der Anteil der Teilzeitkräfte im Pflegeheim bei 40%, bei den mobilen Diensten bei über 85% liegt. Aus den Statistiken geht aber nicht hervor, wie sich die Berufsgruppen zwischen Pflege- und Betreuung aufteilen. Dazu sind wieder Annahmen nötig.
Für Mobile Dienste liegt mWn keinerlei Studie vor, die zeigt, in welchem Verhältnis Betreuungs- und Pflegepersonen arbeiten. Es ist wohl nicht falsch anzunehmen, dass hier die Betreuung einen noch größeren Anteil als in Heimen hat, und so eine 50::50 -Aufteilung gerechtfertigt ist. Unter diesen Voraussetzungen sind daher etwas mehr als 6.000 VZÄ zu besetzen, wofür es jedoch wegen des sehr großen Teilzeitfaktors 11.000 Köpfe braucht.
Für Pflegeheime liegt eine Untersuchung der Uni Innsbruck im Auftrag der AK vor, mit einer allerdings sehr kleinen Stichprobe (18 Heime). Demnach sind weniger als 75% der dortigen Mitarbeiter aus den registrierungspflichtigen Pflegeberufsgruppen (DKGP und PA) gestellt werden. Geht man davon aus, dass dieser Wert repräsentativ ist, dann arbeiten in Heimen etwa 31.000 Pflegekräfte, die zusammen knapp 25.000 VZÄ erreichen, und der Rest in der Betreuung.
Am Ende „verschwinden“ 30.000
Zählt man alle zusammen, dann können im öffentlichen System 111.000 bis 112.000 registrierungspflichtige und am Patienten arbeitende (Practising nurses) Pflegekräfte gefunden werden. also um etwa 30.000 Personen weniger, als registriert sind.
Übertragen auf die Tabelle der OECD ergibt sich damit folgendes Bild.
Bedenkt man nun, dass da und dort in Arztordinationen und Ambulatorien, in Krankenpflegeschulen und 24-Stunden-Betreuungsvereinen Pflegekräfte arbeiten, und das viele sich wohl auch einen Berufsausweis ausstellen haben lassen, obwohl sie was anderes arbeiten (aber wieso dann eigentlich?), bleiben trotzdem zehntausende übrig, von denen niemand weiß wo und was sie arbeiten, nur dass sie das, vermutlich ähnlich dem Wahlarztsektor, nicht im öffentlichen System tun.
Der echte und der gefühlte Mangel
Doch warum ziehen sich so viele ausgebildete UND registrierte Personen aus dem öffentlichen Pflegesystem zurück?
Ja, dafür gibt es sehr gute Gründe, die auch qualitativ untersucht sind. Die Unzufriedenheit mit den Rahmenbedingungen im öffentlich erfassten System sind klar dokumentiert und lassen sich eigentlich sehr schön mit quantitativen Zahlen untermauern:
Bedenkt man, dass wir außerhalb des Spitals enorm viel Pflege dem informellen Laiensystem überlassen, ist es plausibel, dass der Schweregrad der Patienten in der professionellen Pflege hoch ist, und so eine emotionale Belastung darstellt, die nicht durch „leichte Fälle“ abgefangen wird. Und die Ausgaben für Pflege sind im Vergleich gering, womit dann die Arbeit noch nicht einmal übermäßig honoriert wird.
Stellt man dann dazu das Missverhältnis zwischen Spitalsbetten und Krankenhauspersonal, dann ist es sehr verständlich, dass in der Pflege, egal wo, ein subjektiv gefühlter Mangel an Pflegekräften auftritt – er ist aber eben kein quantitativer Mangel an Pflegekräften generell!
Und weil es eben eigentlich genug Pflegekräfte gäbe, die aber offensichtlich das öffentliches System meiden oder/und ín Teilzeit „fliehen“, kann dieser Mangel aber eben nicht durch „mehr“ Ausbildungsstellen getilgt werden, sondern nur durch bessere Arbeitsbedingungen. Warum also gerade der AK-Mitarbeiter Kurt Schalek meint „Der abgesagte Pflegepersonalmangel klingt zu schön, um wahr zu sein. Und so ist es auch, denn leider übt er (Anm. gemeint bin ich) sich in der Kunst des Äpfel-und-Birnen-Vergleichs“ und meine quantitativen Aussagen mit qualitativen Untersuchungen widerlegen will, ist nicht verständlich.
Gutgemeint könnte ich denken, es geht darum, dass man nicht so einfach ein politisch gut positioniertes Thema aufgibt, bösgemeint könnte man annehmen, es geht bei dem Ruf nach „mehr“ eher darum, die Zahl der Arbeitskräfte und hier vor allem der jungen und billigen, die viele Praktika machen müssen, solange zu erhöhen, bis es so viele gibt, dass die auch unter den jetzigen, schlechten Bedingungen im öffentlichen System arbeiten müssen.
Ich allerdings bin der festen Überzeugung, dass es an was anderem liegt
Exkurs: Warum mich die Situation in der Pflege so frappant an die Ärztemangeldiskussion erinnert:
Betrachtet man die Zahl Allgemeinmediziner (AM), die eine Ordination betreiben, erkennt man, dass es tausende gibt, die außerhalb des Kassensystems eine Ordination betreiben. Unter 50 ist die Zahl der Wahlarzt-AM in jedem Jahrgang größer als die Zahl der Kassen-AM. Einen deutlichen Überhang der Kassenhausärzte gegenüber den Wahlärzten gibt es erst ab 60 – und da will mir jemand einreden, es liegt am „Ärztemangel“, dass es nicht gelingt, Kassenstellen zu besetzen?
Und mehr noch, weil es offenbar ein Denkverbot über die Attraktivität öffentlicher Arbeitsplätze gibt, und die Entscheidungsträger eine Lösung für das Problem woanders suchen, werden mehr MedAbsolventen verlangt. Das ist mehr als absurd, denn
- haben wir bereits heute, umgelegt auf die Einwohnerzahl die meisten Absolventen in der EU, und
- dauert es wohl mindestens bis 2035, bis aus diesen neuen Universitäten fertige AM entstanden sein werden – da ist die so bedrohlich aufgepauschte Pensionierungswelle längst verebbt.