Der Patient steht im Mittelpunkt und dort allen im Weg

2007 habe ich ein Buch ge­schrie­ben, weil die Pro­ble­me der Pfle­ge­ver­sor­gung mas­siv waren – und da in den letz­ten 10 Jah­ren nichts pas­siert ist, wer­den die Pro­ble­me immer grö­ßer und das Ka­schie­ren immer schwe­rer und teu­rer.

Hier das Vor­wort aus dem Jahr 2007

Aus­lö­ser die­ses Buch zu schrei­ben, war die Dis­kus­si­on um die Pfle­ge­ver­sor­gung in Ös­ter­reich. Eine sol­che Dis­kus­si­on wäre zu recht­fer­ti­gen, wenn in Ös­ter­reich das Ge­sund­heits­sys­tem pri­va­ti­siert wäre. Wahr­schein­lich würde die Dis­kus­si­on auch stim­men, wenn wir mit den Aus­ga­ben für das Ge­sund­heits­sys­tem ir­gend­wo an letz­ter oder vor­letz­ter Stel­le in der OECD lägen. Even­tu­ell wäre diese Dis­kus­si­on auch ge­recht­fer­tig, wenn man sie vor 20 Jah­ren ge­führt hätte. Heute und in einem so­li­da­risch fi­nan­zier­ten Ge­sund­heits­sys­tem, das zu den teu­ers­ten der Welt ge­hört und sich selbst gerne als das beste be­zeich­net, ist diese Dis­kus­si­on je­doch un­wür­dig.
Der Grund, warum es über­haupt zu einer sol­chen Dis­kus­si­on kom­men muss­te, hängt stark mit der Un­wil­lig­keit zu­sam­men, im Ge­sund­heits­be­reich sub­stan­ti­el­le Re­for­men um­zu­set­zen. Jeder, der ir­gend­wie ir­gend­et­was im Ge­sund­heits­sys­tem zu reden hat, ver­tei­digt sein Re­vier – und das seit im­mer­hin 50 Jah­ren sehr er­folg­reich. Es ist also nicht ver­wun­der­lich, dass wir in Ös­ter­reich Struk­tu­ren haben, die wie aus einer an­de­ren Zeit an­mu­ten. Da sich je­doch die Welt wei­ter­dreht und die de­mo­gra­phi­schen und me­di­zi­ni­schen Ent­wick­lun­gen auch vor Ös­ter­reich nicht halt ma­chen, egal wie sehr sich das man­che wünsch­ten, sind diese Struk­tu­ren mitt­ler­wei­le ana­chro­nis­tisch ge­wor­den.
„Wie sehr“ uns der alte Mensch am Her­zen liegt, sieht man al­lei­ne schon daran, dass das Fach­ge­biet der ger­ia­tri­schen Me­di­zin gar nicht exis­tiert, ge­ra­de ein­mal ein Fort­bil­dungs­di­plom der Ärz­te­kam­mer gibt es dafür. Goo­gelt man nach den Be­grif­fen „ger­ia­tri­sche Re­ha­bi­li­ta­ti­on“, er­hält man 214 000 deutsch­spra­chi­ge Ein­trä­ge – aus Ös­ter­reich stam­men 308. Ein „Ger­ia­trie­plan“ in Ana­lo­gie zu Kin­der­ver­sor­gungs­plä­nen oder Struk­tur­plä­nen gibt es ei­gent­lich nicht. Und wenn, dann ist das meist nicht mehr als eine Auf­lis­tung von Pfle­ge­hei­men und Ab­sichts­er­klä­run­gen. Eine den Pro­zes­sen ent­spre­chen­de und be­darfs­ge­recht ab­ge­stuf­te Ver­sor­gung gibt es dem­nach in der Pfle­ge ge­nau­so wenig wie in der am­bu­lan­ten ärzt­li­chen Ver­sor­gung.
Was es al­ler­dings sehr wohl gibt, ist die Ver­drän­gung der Pa­ti­en­ten in an­de­re Ver­sor­gungs­struk­tu­ren, wie dem Kran­ken­haus. Aus ge­samt­wirt­schaft­li­cher Be­trach­tung ist das je­doch Irr­sinn, da ein Kran­ken­haus ver­mut­lich min­des­tens dop­pelt so teuer und fach­lich falsch qua­li­fi­ziert ist, als die ei­gent­lich be­nö­tig­te und be­darfs­ge­rech­te Struk­tur. An­ders aus­ge­drückt, könn­te man, wenn man sich auf eine große Re­form ei­nigt, für das glei­che Geld dop­pelt so viele pfle­ge­be­dürf­ti­ge Per­so­nen be­treu­en! Und wenn man dann auch noch ver­nünf­ti­ge Kon­zep­te für die Pfle­ge­ver­sor­gung (ins­be­son­de­re ab­ge­stuf­te Mo­del­le) ent­wi­ckelt, dann sind es ver­mut­lich drei oder vier Mal so viele – ohne dass der Pa­ti­ent was zah­len müss­te. Und wenn man die Ku­ra­ti­on end­lich ge­mein­sam mit dem Pfle­ge­be­reich ab­stim­men würde, dann könn­te man sich sämt­li­che Selbst­be­hal­te in der Pfle­ge über­haupt spa­ren und die Pfle­ge so­li­da­risch fi­nan­zie­ren – ohne Bei­trä­ge er­hö­hen zu müs­sen.
In der Pfle­ge be­steht ein noch grö­ße­rer Re­form­be­darf als in der Ku­ra­ti­on. Es feh­len ge­eig­ne­te De­fi­ni­tio­nen, die die Leis­tun­gen der öf­fent­li­chen Hand von Pri­vat­leis­tun­gen klar tren­nen, die Ab­stu­fung der An­ge­bo­te ist nicht am Be­darf der pfle­ge­be­dürf­ti­gen Per­so­nen aus­ge­rich­tet, die Ab­stim­mung des Leis­tungs­ge­sche­hens mit an­gren­zen­den Be­rei­chen fehlt kom­plett.

 

Und hier das ganze Buch als PDF

GE­SUN­DE ZU­KUNFT  

ÖS­TER­REICHS GE­SUND­HEITS­VER­SOR­GUNG NEU
Dis­kus­si­ons­grund­la­ge zur Ent­wick­lung neuer Stra­te­gi­en im Ge­sund­heits­we­sen

 

Le­se­zeit 3,5 Stun­den – es ist sehr leicht zu lesen! dar­auf bin ich heute noch stolz