Das PHC-Gesetz und seine Feinde

(Lesezeit 4 Min) Obwohl niemand den Entwurf zum Primärversorgungsgesetz 2017 (PVG) gekannt hat, war klar, er ist böse. Deswegen mobilisiert die Niedergelassenen-Kurie gleich und ruft einen Krisengipfel ein!

Und da wird auch nicht mit Drohgebärden gespart:

„So könnte z.B. Ihr bestehender Kassenvertrag sehr einfach gekündigt werden, wenn etwa in Ihrer Region eine PVE gegründet wird.“

Oder es „würde außerdem die Tür für private Investoren, staatliche Institutionen oder auch Krankenkassen, sich an Primärversorgungseinrichtungen zu beteiligen, weit aufgestoßen.“

„Die dort bezahlten Honorare sollen zukünftig auch nicht mehr Bestandteil des Gesamtvertrages sein. Die Folge wäre wohl massives Tarif-Dumping“

Überhaupt würden Ärzte „zu abhängigen Gesundheitsdienstleistern“ und reinen „Normunterworfenen“ degradiert

Dass alles „ist ein Mix aus ehemaliger DDR und US-amerikanischer Profitprivatisierung. Dieses US-DDR-Modell ist eine von privaten Konzernen und/oder der öffentlichen Hand geführte Miniambulanz, anonym und nicht unbedingt mit den engagiertesten oder mit gut bezahlten MitarbeiterInnen besetzt.“

Jedes irgendwie populistische und angstmachende Klischee wird bemüht, egal wie absurd oder gelogen!

Denn was steht wirklich im Entwurf?

(Die Angaben der §§ bezieht sich auf den Entwurf)

Es geht um Primärversorgungseinheiten (PVE), und das sind keine Gebäude, sondern „Einheiten“, die einen breiten Versorgungsauftrag in einer Region übernehmen sollen.

 

 

Diese Einheiten können entweder an einem Standort (also als Zentrum) oder als Netzwerk an mehreren Standorten organisiert sein (PVG §2 Abs. 5) und sollen von niedergelassenen Kassen-Hausärzten als Eigentümer und Betreiber gebildet werden; es wird weiter einen Gesamtvertrag geben; der Stellenplan bleibt verbindlich, niemand muss sich fürchten eine PVE vor die Nase gesetzt zu bekommen; und die Chance, dass Investoren oder Krankenkassen Ketten bilden, ist null – (PVG §14 und ASVG 342 Abs. 3 und ASVG 342b)

 

 

Kein bestehender Vertrag wird angerührt, wer nicht mitmachen will, muss nicht, das regeln die für meine Begriffe doch sehr langen Übergangsfristen (PVG §17 Abs.3)

 

 

Es werden also nur max. 2/3 jener Planstellen in PVE eingeplant werden dürfen, deren Inhaber bis 2025 in Pension gehen – mehr nicht! Es wird ihn also noch sehr lange geben, den einzelordinierenden Hausarzt. Und da PVEs vermutlich sehr oft als Netzwerke organisiert sein werden, wird er nie aussterben – wobei er eben in einem PVE-Netzwerk dann wenigstens nicht mehr anachronistisch ist.

Und was die Kündigung eines PVE-Vertrages durch die Kassen betrifft, die ja angeblich jederzeit und leicht möglich sein soll und so Dumpingtarifen Tür und Tor öffnet:

Die Kündigungsgründe sind aufgelistet und wie bisher unter Einbindung der Ärztekammer beeinspruchbar (ASVG 342c Abs.4 ff). PVE-Verträge sind genauso fix (wenn nicht sogar fixer) wie die heutigen Kassen-Verträge. Aber möglicherweise kennen viele die derzeitigen Bestimmungen im ASVG über Aufnahme der Ärzte in den Vertrag und Auflösung des Vertragsverhältnisses nicht, und fürchten sich deswegen.

 

In Summe alles sehr evolutionär, zu langsam für meine Begriffe, aber was soll’s! Klar ist, dass es ernst wird, die Hausarztmedizin zu stärken. Es ist das erste Mal, dass das Lippenbekenntnis ein echte Verschriftlichung erfährt.

 

Aber werden die PVE-Ärzte, vor allem im Vergleich zu den derzeitigen Kassenärzten in ihrem Kassenvertragskorsett,  „zu abhängigen „Gesundheitsdienstleistern“ und reinen „Normunterworfenen“ degradiert? Mit Nichten!

PVEs sind nicht als starre Struktur, sondern als Einheiten definiert, deren Mitarbeiter (das PHC-Team) selbstentwickelte Versorgungskonzepte umsetzen sollen (PVG §6).

 

Wer einen PVE-Vertrag haben will (und das werden mMn viele sein – v.a. die, die gerne Hausärzte sind und unter den derzeitigen Bedingungen stöhnen), ist damit einem Wettbewerb der Ideen und des unternehmerischen Denkens ausgesetzt. Und damit jene, die das wollen auch verdienen können, werden PVE-Verträge ein völlig neues Honorierungsmodell erhalten.

Eine kontaktunabhängige Grundpauschale wird Infrastruktur und nichtärztliches Personal finanzieren (je nach Versorgungskonzept wird die personelle und infrastrukturelle Ausstattung anders aussehen), dazu kommen Fallpauschalen, Einzelleistungsvergütungen sowie Bonuszahlungen für Erreichung definierter Ziele (ASVG 342b Abs 3 und 4) – finanziert durch zusätzliches Geld (PVG §7).

 

 

Ich finde, dass der Entwurf zwar noch einige Fallstricke hat (v.a. dort, wo er auf RSGs reflektiert. Die vergangenen RSG waren echt peinlich schlecht und i.d.R. nur auf Bundesländer bezogen, satt auf VR), aber in Summe eine echte Chance für alle Hausärzte, die ihren Job ernst nehmen, ist.

Die Frage bleibt, werden Ärztekammerfunktionäre als brachialoppositionelle Reformverweigerer  agitieren, oder im Sinne der Kassen-Hausärzte den Prozess gestalten (v.a. bei der Entwicklung der RSGs und der Versorgungskonzepte). Denn so wie sich der Entwurf liest, wollen jene, die vom Volk gewählt wurden, sich um die Finanzierung und Organisation der Gesundheitsversorgung zu kümmern, nach vielen Jahrzehnten des Zuwartens, endlich ihre Aufgabe wahrnehmen. Und wie es aussieht, dabei die Ärztekammern einbinden – ich hoffe, die werden dieses Angebot auch wahrnehmen.

 

PS: Nein, ich habe weder an der Entwicklung dieses Entwurfs mitgearbeitet noch bin ich sonst irgendwie damit verbunden – ich beurteile den Entwurf nach dem, was die Literatur über PHC sagt, und in wie fern das im Entwurf berücksichtigt ist