Weil in der Gesundheitsreform nichts weitergeht und nun auch der Finanzplan zu scheitern droht, zeigt die Gesundheitspolitik ihren Zynismus.
Von Dr. Josef Probst abwärts argumentiert jeder Kassenmitarbeiter und Beamter mit politischem Hintergrund, dass Medikamentenpreise dermaßen stark steigen, dass es zu einer für das Kassensystem unerträglichen Schieflage kommt, die staatlich korrigiert werden muss. Deswegen ein gesetzlicher Zwangsrabatt, der dazu beitragen soll, die jährliche Ausgabensteigerung der sozialen Krankenversicherung zu stabilisieren.
Für bewilligungsfreie Medikamente ist ein Zwangsrabatt von 3 Prozent, für chefarztpflichtige Medikamente ein Rabatt von 7 Prozent, und für Medikamente, die nicht im Erstattungskodex (EKO) angeführt sind von 15 Prozent angedacht. Macht in Summe jährlich etwa 125 Mio. Euro, oder 6 Prozent des Umsatzes den Pharmaunternehmen mit den Krankenkassen erzielen.
Argumentiert wird, dass solche Rabatte auch in anderen Ländern üblich sind, daher soll sich niemand aufregen. Nun, in anderen Ländern (mir fällt eigentlich nur Deutschland und Frankreich ein), sind solche Rabatte tatsächlich üblich, aber nur dort, wo Preise nicht gesetzlich geregelt sind.
Den wenigsten ist bekannt, dass Medikamentenpreise (ausserhalb der Spitäler) hierzulande von einem staatlichen Monopoleinkäufer, dem Hauptverband, in einem der intransparentesten Bürokratieakte dieser Republik festgelegt werden. Der Preis, den der Hauptverband höchstens zahlen darf, darf nicht über dem EU-Durchschnittspreis liegen. Die Regulierung geht noch weiter. Wenn ein Generikum auf den Markt kommt, dann schreibt das Gesetz genau vor, wie teuer es sein darf, und wie die Preise des Originalpräparates sich verändern muss.
Ab dem dritten Generikum haben alle, ob Original oder Generikum, den gleichen Preis. Mit dieser Regulierung haben wir es geschafft, dass die Preise und damit die Ausgaben relativ niedrig sind.
Auch der Vertriebsweg der Medikamente ist staatlich festgelegt. Der Pharma-Großhandel kauft die Medikamenten beim Produzenten zu dem, mit dem Hauptverband ausverhandelten, Fabriksabgabepreis und darf auf eine vom Staat festgelegte Handelsspanne aufschlagen und Apotheken und Hausapotheken beliefern, die ebenfalls einen staatlich festgelegten Aufschlag verrechnen dürfen – und zwar den Krankenkassen. Ein durch und durch staatlich kontrollierter Wirtschaftskreis. Und jetzt soll eben noch ein Rabatt, der von den bereits verhandelten Preisen abgezogen werden– im Nachhinein also, weil sonst eben eine offenbar völlig überraschende Schieflage einträte.
Was ist dran am Argument der Schieflage
Es ist unklar wie die sogenannte Gebarungsvorschaurechnung der NÖGKK ins Netz kam, jedenfalls landete sie dort – vermutlich das erste und einzige Mal (sicherheitshalber habe ich ein Bild am Ende des Artikels eingefügt – man weiß ja nie, wann der Link verschwindet). In dieser Rechnung findet man Prognosen der Kassen, wie sich die einzelnen Ausgabenposten entwickeln werden, und kann erkennen, dass Medikamenten keine außergewöhnliche Belastung verursachen – warum?
Die Medikamentenausgaben der Kassen (gerechnet nach Apothekenpreisen, also inkl. der Versorgungslogistik) betragen etwa 20 Prozent der Gesamtausgaben. Die Medikamente sollen 2015 um 6-7% teurer werden; spannenderweise steigen aber auch die Gesamtausgaben der Kassen um 6-7%, was nichts anderes bedeutet, dass die Medikamentenausgaben offenbar durchschnittlich wachsen. Auch die Ausgaben für ärztliche Hilfe werden zwischen 6% und 7% steigen, ebenso die Verwaltungskosten. Manche Bereiche werden mehr als 7% wachsen – etwa Ausgaben für Rehabilitation oder Zahnbehandlung – andere weniger, wie Transportkosten. Im Durchschnitt über alles aber eben 6-7%.
Die Idee der Gesundheitsreform, den Anstieg der öffentlichen Gesundheitsausgaben (ohne Langzeitpflege) über die Periode bis 2016 an das zu erwartende durchschnittliche nominelle Wachstum des Bruttoinlandsprodukts heranzuführen, hätte bedeutet, dass die Ausgaben der NÖGKK 2015 um 3,94% und 2016 um 3,55% hätten steigen dürfen. So steht es zumindest im Bundes-Zielsteuerungsvertrag.
Laut der Gebarungsvorschaurechnung ist jedoch 2015 ein Wachstum von 6,5%, und 2016 um 4,8% vorauszusehen. Selbst wenn man mittels der Zwangsrabattierung nun das Wachstum der Medikamentenausgaben auf Null senkt, wäre die NÖGKK 2015 weit davon entfernt, das Ziel zu erreichen. Statt den 2015 erlaubten 3,94%, würden, wohl weil eben praktisch keine Reform durchgeführt wurde, 4,9% (i.e. um 25% am Ziel vorbei) erreicht werden. Aber, und das ist wohl das Kalkül, würde man, so zumindest laut der Vorschaurechnung, 2016, ganz ohne Reform, das Ziel erreichen können.
Natürlich ist unklar, ob das so bei allen anderen Kassen ähnlich aussieht, denn schließlich kriegen wir die gesetzlich vorgeschriebenen Gebarungsvorschaurechnungen nie zu Gesicht. Darüber wird immer nur mündlich oder per OTS berichtet. Es ist jedoch anzunehmen, dass alle Kassen ähnlich liegen, womit eben auch zu vermuten ist, dass es bei dem Zwangsrabatt eher darum geht, ganz ohne Reformen den Finanzplan zu sichern. Eine Schieflage wegen der Medikamente ist nicht zu erwarten, es sei denn, die Schieflage bestünde heute schon.
Sollte die Schieflage tatsächlich schon länger bestehen, dann müsste man sie doch längst korrigiert haben, und zwar über die normalen Preisverhandlungen. Doch es ist zu bezweifeln, dass so eine Schieflage überhaupt besteht.
Betrachtet man aber die öffentlichen Medikamentenausgaben, dann kann man feststellen, dass der Anteil der für sie aufgebracht wird von 2003 bis 2013 von 15% auf 13% gesunken ist. Es werden also 2013 2% weniger ausgegeben als noch 2003. Da mag nun nicht viel klingen, beduetet aber, dass gerechnet zu den Preisen 2013 etwa 500 Mio.Euro heute in andere Bereiche fließen können, als noch 2003.
Es ist also keineswegs so, dass die Ausgaben für Medikamente immer und immer höher werden. Im Gegenteil, die Ausgaben sinken und sinken relativ, bzw. steigen eben seit 2008 weniger stark als alle andere Bereiche des Gesundheitswesens, vor allem im Vergleich zu den Einnahmen der Krankenkassen.
Es besteht also begründet der Verdacht, dass sich die Entscheidungsträger seit 2008 daran gewöhnt haben, dass es immer nur eine Richtung für das „Wachstum“ der Medikamentenausgaben gibt – nach unten. Das ist genau so naiv, wie wenn man meint, an der Börse gäbe es auch nur eine Richtung – nach oben.
Sachlich ist der Ritt gegen die Pharma in Österreich (wohlgemerkt gilt das nur hier, denn in anderen Länder sind die Schwankungen bei den Medikamentenpreise tatsächlich erheblich und viel schwerer zu prognostizieren, als in unserem heute schon „staatlich“ stabilisierten Pharmamarkt), nicht verständlich. Um was es hier geht ist ein rein ideologisch begründetes Ablenkungsmanöver. Denn wenn andere Bereiche wachsen, ist das gut, wird dort ja nur der „gerechte Lohn“ verdient. Wenn Pharma wächst, dann, so wird suggeriert, deswegen, weil sie, noch mehr als bisher, gierig am Leid der Menschen verdienen will.
So eine Denke hat wirklich nichts im 21. Jahrhundert zu suchen. Die Pharmabranche ist wie jede andere Branche an Gewinnen interessiert – damit muss man leben können. In einer Demokratie kann und soll der Markt reguliert, aber nicht überreguliert werden – das lässt er sich nämlich nicht gefallen, besonders dann nicht, wenn er von internationalen Multis repräsentiert wird. Solange der Markt regiert, müssen wir Gewinne mitfinanzieren – ohne Neid! Denn was passiert, wenn man versucht, sich diese Gewinne zu sparen? Dann denken wir doch an die AUA, die ÖBB, oder die Landeskrankenhäuser. Überall Milliardengräber, deren Schulden über Steuern zu begleichen waren/sind.
Die, die so gerne auf die Gewinne der Pharmaindustrie schielen, sollten sich langsam daran gewöhnen, dass sie selbst was auf die Beine bringen müssen.
Denn eigentlich würde die Reform vorsehen, dass Behandlungs- und Versorgungsprozesse inklusive der Versorgung mit Medikamenten sektorenübergreifend am Patientenbedarf zu orientieren sind. Ein Blick in den von der OECD erhobenen Medikamentenverbrauch (in Tagesdosen) bei Volkskrankheiten zeigt, dass es eine bedarfsgerechte Versorgung ganz offensichtlich nicht gibt.
In Österreich werden etwa nur halb so viele Blutdruck senkende Medikamente verbraucht wie in der EU. Mit diesem Verbrauch liegen wir abgeschlagen an letzter Stelle. Gleiches gilt für Diabetes-Medikamente, auch hier liegen wir an letzter Stelle und erreichen weniger als 2/3 des EU-Schnitts. Die „zweitschlechtesten“ verbrauchen bereits um ein Viertel mehr. Bei den Blutfett-senkenden Medikamenten liegen wir nicht an letzter, sondern vorletzter Stelle – da hat Estland die rote Laterne, und der Abstand zum EU-Schnitt beträgt „nur“ ein Drittel.
Natürlich kann und muss man sich fragen, in wie weit der Medikamentenkonsum von der Pharmaindustrie nach oben getrieben wird. Betrachtet man aber solche Fakten, muss man sich viel dringender fragen, ob Patienten mit chronischen Krankheiten bei uns kriegen, was sie brauchen. Schließlich liegen wir weit hinter Ländern wie UK, die strikte Regeln haben, um sich am Patientenbedarf zu orientieren und Überversorgung zu verhindern.
Sollte, und andere internationale und nationale Studien legen das ja nahe, tatsächlich eine Unterversorgung existieren, dann wird klar, dass das für Millionen Patienten in Österreich dazu führt, dass Krankheitsverläufe schwerer als nötig sind, und medikamentös vermeidbare Krankenhausaufenthalte nicht vermieden werden.
Aber da liegt wohl der politische Gewinn: Mit dieser „Ich schau nicht hin“-Methode geben Kassen weniger für Geld Medikamente aus, und Länder können sich über ausgelastete Spitäler freuen.
Dass das zynisch ist, stört große Politik hierzulande nicht. Und wie wenig diese daran was ändern will, erkennt man an diesen Zwangsrabatt-Ideen. Denn, um den Finanzplan der Reform, und nur diesen, einzuhalten, soll der Pharmabranche die nächsten Jahre ein Null-, wenn nicht sogar ein Minuswachstums per Gesetz verordnet werden. Und das, nachdem die Branche seit 2008 in Österreich kein reales Wachstum mehr aufweist.
Aber, auch wenn manche es gerne hätten, die Pharmabranche wird nicht wie ein Sündenbock für die fehlende Reformfähigkeit ruhig stehen. Zu glauben, dass unsere Politiker mächtig genug sind, die Margen der Pharmaindustrie, vor allem der internationalen Konzerne zu reduzieren, ist planwirtschaftliche Allmachtsphantasie. Unser Markt ist viel zu klein. Lieber gibt man ihn auf, als ein Präjudiz für andere, wichtigere Märkte zu schaffen.
Was wir sehen werden ist eine Reduktion der Produktionskosten – und zwar um etwa sechs Prozent unter den des europäischen Mittelwertes – was nichts anderes heißt, dass halt abwandern werden diese gierigen Unternehmer, und Arbeitsplätze in der Forschung und Fertigung mitnehmen – dann werden die hiesigen Politiker gewonnen haben, weil die einzigen Kosten hierzulande im Marketing anfallen werden, im beliebten Inseratengeschäft. Denn, auch in der Fortbildung werden die heimlich von der öffentlichen Hand liebgewonnenen Quersubventionen wohl fallen. Und wenn alles schief geht, werden am Ende sogar Medikamente vom Markt verschwinden oder nicht eingeführt werden. Aber das stört dann nicht, weil man das ja eh nicht erfahren wird.