Ärztekammer auf echtem Reformkurs?

Der 8. Juli 2012 hätte das Zeug in die ge­sund­heits­po­li­ti­sche Ge­schich­te ein­zu­ge­hen. Es war der Tag, als den neue Ärz­te­kam­mer­prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger so rich­tig Gas gab.

 So mein­te er in einem APA-In­ter­view: „Wenn man im ös­ter­rei­chi­schen Ge­sund­heits­sys­tem wei­ter­kom­men will, dann müss­te man den Län­dern die Kran­ken­häu­ser weg­neh­men“ und: „Es kann nicht sein, dass die Län­der gleich­zei­tig Ge­setz­ge­ber, Spi­tals­trä­ger und Leis­tungs­an­bie­ter sind und dann auch noch am Fi­nan­zie­rungs­topf sit­zen.“

Mit sol­chen Aus­sa­gen macht man sich für Län­der zum Paria, auch oder be­son­ders, wenn man Ärz­te­kam­mer­prä­si­dent ist. Aber der neue Prä­si­dent rüt­telt auch an einem wei­te­ren Dogma der ös­ter­rei­chi­schen Ge­sund­heits­po­li­tik, der Pflicht­ver­si­che­rung. Die würde er gerne ab­ge­schafft sehen, und den Bür­gern Wahl­frei­heit zwi­schen ver­schie­de­nen Kas­sen geben – Und mit der Aus­sa­ge mögen ihn die So­zi­al­part­ner auch nicht mehr.

Nun, die Kas­sen haben nicht re­agiert, müs­sen auch nicht, weil sie wis­sen, dass dank der Ver­fas­sung nie­mand sie ab­schaf­fen/än­dern kann. Re­agiert haben aber ei­ni­ge Län­der – ab­schlä­gig, wie zu er­war­ten. Bei­spiels­wei­se meint der Ober­ös­ter­rei­chi­sche Lan­des­haupt­mann: „Wir wer­den die De­bat­te [Anm.: ge­meint ist die Ge­sund­heits­re­form­de­bat­te – wel­che? Ich dach­te, die Re­form wurde von sechs Per­so­nen ge­heim ver­han­delt] si­cher nicht wie­der von vorne be­gin­nen“.

Prä­si­dent Wech­sel­ber­ger, und da schlie­ße ich mich an, hält üb­ri­gens die be­schlos­se­ne Ge­sund­heits­re­form nur für „das üb­li­che Ge­ran­gel um Geld und Geld­flüs­se“, wenn über eine neue 15a-Ver­ein­ba­rung ge­strit­ten wird. Und ihn wie auch mich er­in­nern die ver­ein­bar­ten vir­tu­el­len Bud­gets zur Steue­rung des Sys­tems an „Luft­schlös­ser“.

Wie dem auch sei, ur­sprüng­lich dach­te ich, der käm­mer­li­che Vor­schlag ist gold­rich­tig: ech­ter Wett­be­werb zwi­schen Kas­sen, und nicht nur als Pseu­do- Ar­gu­ment für das Wei­ter­be­ste­hen von 21 Kran­ken­kas­sen und 16 Kran­ken­für­sor­gean­stal­ten, die sich, dank Pflicht­sys­tem nie um ihre Exis­tenz fürch­ten müs­sen. Ech­ter Wett­be­werb wäre für viele ein ku­ra­ti­ver Schlag!

Und dann die Ent­flech­tung der Mehr­fach­kom­pe­ten­zen der Län­der, die sich als Ge­setz­ge­ber, Spi­tals­trä­ger, Leis­tungs­an­bie­ter (samt Qua­li­täts­kon­trol­le) und Fi­nan­zier oh­ne­hin schon in einem stän­di­gen, schwe­ren, in­ne­ren In­ter­es­sens­kon­flikt be­fin­den; ge­paart mit dem Wunsch der Herr­schen­den nach Wie­der­wahl, kann so was ja fast nur pa­tho­lo­gisch enden!

In einer zwei­ten Re­ak­ti­on al­ler­dings re­flek­tier­te ich die eben­falls ge­for­der­te Stär­kung der So­zi­al­ver­si­che­rung, bei gleich­zei­ti­ger Schwä­chung der Län­der.

Genau be­trach­tet, recht viel bes­ser haben die Kas­sen ja auch nicht ge­ar­bei­tet. An­de­ren­falls hät­ten wir ein ech­tes Haus­arzt­sys­tem, Grup­pen-, statt Ein­zel­pra­xen, und das Ho­no­rar­sys­tem der Ärzte wäre ein Steue­rungs­in­stru­ment und kein ge­mau­schel­tes Geld­ver­tei­lungs­sys­tem.

Dazu kommt aber noch, dass Kas­sen im Ge­gen­satz zu den Län­dern ein Le­gi­tim­täts­pro­blem haben – denn Pflicht­kas­sen, deren po­li­ti­sche Füh­run­gen in­di­rekt in Pflicht­kam­mer-Wah­len mit nied­ri­ger Wahl­be­tei­li­gung ge­wählt“ wer­den, sind NICHT de­mo­kra­tisch le­gi­ti­miert! Auch wenn das man­che nicht hören wol­len. An­de­rer­seits wird auch die Lo­cke­rung des Pflicht­sys­tems vor­ge­schla­gen, damit könn­te die­ses de­mo­kra­ti­sche Manko kom­pen­siert wer­den, so­fern der an­ge­streb­te Wett­be­werb wirk­lich auf den Boden kommt und nicht über den Haupt­ver­band und ir­gend­wel­che Ret­tungs- und Zu­sam­men­ar­beits­fonds ab­ge­fan­gen wird.

Aber all diese Ge­dan­ken habe ich in dem Au­gen­blick ver­ges­sen, als ich die Re­ak­ti­on der Län­der las.

Da meint etwa Ge­sund­heits­re­fe­rent J. Püh­rin­ger: „Ich lade den Herrn Prä­si­den­ten aber herz­lich nach Ober­ös­ter­reich ein, damit er sich ers­tens die ex­zel­len­te Spi­tals­land­schaft und zwei­tens die ge­lun­ge­ne Spi­tals­re­form an­schau­en kann.“ Deut­li­cher sein Vor­arl­ber­ger Kol­le­ge Lan­des­rat Ch. Bern­hard: „Un­se­re Spi­tä­ler blei­ben da, wo sie sind: näm­lich bei uns“, weil näm­lich jede Schwä­chung der Län­der mas­si­ve Nach­tei­le für die Pa­ti­en­ten hätte. Und aus Tirol er­klärt gleich Lan­des­haupt­mann Plat­ter im Namen aller Län­der (er ist näm­lich Vor­sit­zen­der der recht­lich völ­lig un­be­kann­ten Lan­des­haupt­lei­te­kon­fe­renz, die aber real mehr Macht hat, als jede ver­fas­sungs­recht­lich fest­ge­leg­te po­li­ti­sche In­sti­tu­ti­on): Man werde es je­den­falls „nie­mals zu­las­sen“, dass der Bund vor­schrei­be, wo es in einem Bun­des­land ein Spi­tal geben soll und wo nicht.

Damit war mir klar um was es geht: Es sind die gnä­di­gen Län­der mit ihren se­gens­rei­chen Spi­tä­lern, die zwi­schen uns und un­se­rem si­che­ren Tod ste­hen – und dank­bar soll­ten wir sein, dass wir sooft drin­nen lie­gen dür­fen, in den länd­li­chen Spi­tä­ler. Das zu kri­ti­sie­ren oder än­dern zu wol­len, das kann nur böse sein.