Eigentlich sollte die große Mehrheit mittlerweile ein wenig Covid-19-Wissen aufgebaut haben oder wenigstens keine falschen Theorien vertreten. Oder doch?
Weiterlesen: Wie wir zu Kleinkindern degradiert wurdenEs gibt zwei Infektionswege: Schmiere und Tröpfchen. Zweitere teilt man in Aerosole, also sehr kleine, schwebende Tröpfchenkerne, und große Tröpfchen, also das, was uns im Gesicht landet, wenn das Gegenüber uns direkt anniest, anhustet oder anschreit – oder aber runterfällt und Schmiere bildet, die infektiös sein kann.
Ob es zur Infektion kommt, hängt von Virenmenge und Infektiosität ab. Masern etwa sind über die Luft schon bei kleinen Mengen hochansteckend. Wie schwer die Infektion abläuft, bestimmt die Virulenz. Diese ist von Virus zu Virus und Mensch zu Mensch anders und hängt vom Immunsystem ab. Ist dieses alters- und/oder krankheitsbedingt geschwächt, wird der Verlauf schwerer.
Für Covid-19 ist der wichtigste Infektionsweg außerhalb der eigenen vier Wände jener durch große Tröpfchen. Was nicht heißt, dass es nicht auch über die anderen Wege ginge – aber eben viel weniger wahrscheinlich.
Daher ist die Ansteckung dort am häufigsten, wo Erwachsene (!) einander anschreien, weil die Musik laut (Clubs) oder der Gesprächspartner schwerhörig (Pflegeheime) ist, oder wo ausgelassene Massen wild brüllen (Fußballspiele) – im Grunde also überall, wo Erwachsene nicht darauf achten, ob sie beim Artikulieren spucken – das gilt auch für Chorgesang.
Andere feucht anzusprechen (nicht im Vorbeigehen anzuatmen), ist ein wichtiges Risikoverhalten, auf das jeder achten sollte – und über das öffentlich aufgeklärt werden müsste.
In der Versorgungswissenschaft nennt man das Patienten-Empowerment; also die Aufklärungsarbeit so zu gestalten, dass der Patient ermächtigt wird, das Richtige zu erkennen. Wird das erreicht, kann man auf dessen Adhärenz bauen, also auf die eigenverantwortliche Umsetzung eines richtigen Verhaltens oder die Vermeidung eines Risikoverhaltens.
Alternativ kann man paternalistisch vorgehen – also nicht mühsam erklären, sondern nach dem streng väterlichen Prinzip vorgehen: „Frag nicht, sondern mach was ich sage!“ Dann werden viele Patienten sich aber auch wie Kinder verhalten und, sobald der Papa nicht hinschaut, nicht folgen.
Unsere Regierung hat bisher den paternalistischen Weg gewählt und – um ja niemanden zu diskriminieren – keinerlei differenzierte Betrachtung zugelassen. Überall sind alle Infektionswege und jeder Sozialkontakt gleich gefährlich, jeder ist gleich gefährdet, anzustecken oder angesteckt zu werden, und jeder Verlauf kann schwer sein. Daher werden undifferenziert ein Meter Abstand und Masken für alle dekretiert.
Doch was passiert, wenn man so vorgeht? Dann reimt sich jeder selbst etwas zusammen.
Und so werden sich die einen wild „argumentierend“ zu Tode fürchten, und andere werden nichts mehr ernst nehmen, weil es egal ist oder Corona gar nicht existiert. Kinder werden als Virenschleudern betrachtet und zu absurdem Sozialverhalten gezwungen, Jugendliche werden Party machen, halt „zu Hause“, und Kranke werden nicht zum Arzt gehen, um nicht an Covid-19 zu sterben. Eine zweite Welle wird so kaum flachzuhalten sein, weil wir nicht aus der ersten lernen durften. Und dann? Dann kommt Papa wieder, sagt, dass er uns gewarnt hat, und verbietet alles – wieder.
„Wiener Zeitung“ vom 28.05.2020