Den Pflegeregress abzuschaffen, wird das Pflegesystem eher verschlechtern – also bei mehr Geld zu noch weniger Gesundheit führen.
Weiterlesen: Gesundes Altern statt PflegeEin Blick in die OECD-Daten zeigt, 2013, pro Kopf und kaufkraftbereinigt, gaben die Dänen exakt gleich viel für Gesundheit und Pflege aus wie Österreich. Setzt man das in Relation zum Anteil der Bevölkerung über 65, der in seinen täglichen Aktivitäten stark eingeschränkt, also echt pflegebedürftig ist, erlebt man eine Überraschung: Bei uns beträgt der Anteil 22 Prozent, in Dänemark acht. Dänemark hat es also geschafft, „gesundes Altern“ zu ermöglichen, wir nicht.
Doch was machen die so anders?
Die Antwort ist einfach. Dänemark hat die gesamte Pflege ins Gesundheitssystem integriert. Dort bezieht man von der Einkaufshilfe bis zur Herztransplantation alles als Sachleistung, und alle Leistungen werden so eingesetzt, dass möglichst viel Gesundheit rauskommt. Daher gibt es kaum informelle Pflege und Betreuung. Und der sinnvolle Einsatz von Profis führt zu besseren Ergebnissen.
Wir hingegen setzen auf selbst organisierte, informelle Pflege (also durch Angehörige oder „illegale“ Betreuung), die oft nur gut gemeint ist. Und wir reizen das an, in dem wir „Pflegegeld“ ohne Zweckwidmung auszahlen. Und auch Pflegegeld gibt es erst, wenn täglich mehr als zwei Stunden Pflege- beziehungsweise Betreuungsbedarf besteht; davor ist es ausschließlich selbst zu finanzieren.
Das Pflegegeld ist dann so berechnet, dass zwischen drei und fünf Euro pro Betreuungs- oder Pflegestunde herauskommt – damit kann man noch nicht einmal eine Putzkraft schwarz finden.
Wir fordern also massiv die informelle Pflege – und erhöh(t)en den Druck über Regresse. Und so darf es nicht verwundern, dass zwar 450.000 Österreicher Pflegegeld erhalten, aber nur 146.000 davon (auch) formale Pflege in Anspruch nehmen.
Ist das bei den niedrigen Pflegestufen vielleicht noch zu vertreten, wird es bei den höheren Stufen krass. Von den 77.000 Patienten, die mindesten sechs Stunden Pflege pro Tag brauchen, werden 42.000 (17.000 davon bettlägerig) informell gepflegt, nehmen also weder mobile Dienste noch ein Pflegeheim in Anspruch. Nur ein Bruchteil davon wird eine (legale) 24-Stundenbetreuung haben. Diese informelle Pflege macht unser System günstig, im Gegensatz zum dänischen, das eines der teuersten ist.
Doch, ersparen wir uns da wirklich etwas? Eben nicht, denn ein sinnvolles, auf Prävention ausgerichtetes, auf Sachleistungen aufgebautes, integriertes System ermöglicht das „gesunde Altern“ und reduziert Kosten in der Akutversorgung. Am Ende kriegen Dänen mehr Gesundheit für das gleiche Geld.
Und weil es bei dem Thema Pflegegeld immer so einen Reflex gibt: In Dänemark werden die Leistungen nicht von öffentlich angestellten Kräften erbracht. Es gibt einen „Pflegemarkt“ und freie Wahl der Anbieter. Der Unterschied ist, dass die eben nicht von Patienten, sondern von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Bei uns ist es nicht selten anders – da gibt es Regionen, in denen so etwas wie Gebietsschutz für Anbieter gibt (meist entsprechend der parteipolitischen Farbenlehre), der Patient also keine Wahlfreiheit hat, dafür aber direkt bezahlen muss, was er kriegt.
„Wiener Zeitung“ Nr. 130 vom 06.07.2017