Gegen „Primärversorgungszentren“ wird mobilisiert – doch worum geht es wirklich?
Weiterlesen: Ärztekammerwahlkampf auf Ciceros SpurenDer Gesetzesentwurf für die neue Primärversorgung in Österreich spricht von PrimärversorgungsEINHEITEN (PVE), die als ZENTREN oder NETZWERKE organisiert sein können. Sie sollen von den niedergelassenen Kassen-Hausärzten, als Eigentümer und Betreiber, gebildet werden – wohnortnah. Niemand wird „seinen“ Hausarzt verlieren. Da bestehende Verträge nicht angerührt werden, wird auch kein Arzt gezwungen mitzumachen. Es muss sich auch keiner sorgen, dass ihm Konkurrenz vor die Nase gesetzt wird, denn es wird weiter Gesamtverträge zwischen Kassen und Ärztekammern geben; die weiter verbindliche und vor Konkurrenz schützende Stellenpläne enthalten. PVEs sind nicht starre Strukturen, sondern flexible Einheiten, deren Mitarbeiter (das PHC-Team) selbstentwickelte Versorgungskonzepte rund um ihre Patienten umsetzen sollen. Je nach Konzept wird die personelle und infrastrukturelle Ausstattung aussehen. Wegen langfristiger Übergangsregeln wird eine Vielfalt von Modellen entstehen. Deswegen wird es auch die für Kettenbildung („McDonaldisierung“) wichtigen Skaleneffekte nicht geben und damit keine Konzerne oder anonyme Finanziers. Das Gesetz wird auch beherrschende Eigentümerstrukturen verbieten. Und weil PVE-Verträge ein völlig neues Honorierungsmodell erhalten, wird es auch zu keinen Dumpingtarifen kommen. Eine kontaktunabhängige Grundpauschale wird Infrastruktur und nichtärztliches Personal finanzieren, dazu kommen Fallpauschalen, Einzelleistungsvergütungen sowie Bonuszahlungen – finanziert durch zusätzliches Geld. Was also bewegt die Ärztekammer, allen voran Vize-Präsidenten Johannes Steinhart, heftigst dagegen zu mobilisieren? Sorge um die Ärzteschaft? Um die Patienten? Ich denke, dahinter steckt nur Wahlkampf. Vor fünf Jahren hat der amtierende Präsident Thomas Szekeres mit einer abenteuerlichen Koalition die Erbpacht auf das Präsidentenamt der Fraktion beendet, der Steinhart angehört. Und diesen „Fehler“ gilt es zu korrigieren. Steinhart will auch österreichischer Ärztekammerpräsident werden – das geht nur, wenn er zuvor Wiener Präsident wird. Da im letzten Jahr sein Konkurrent Szekeres sich rund um den Konflikt mit Stadträtin Sonja Wehsely stark profilieren konnte, ist Steinharts Ausgangsposition schwach. Weil jedoch tiefes Misstrauen gegenüber legitimierten Politikern und der Marktwirtschaft der Kitt ist, der fast alle Ärzte zusammenhält, werden Klischees bedient: Es komme zu einer Verstaatlichung durch profitorientierte Investoren, die Ärzte „zu abhängigen Gesundheitsdienstleistern“ und „Normunterworfenen“ degradieren und mit Dumping-Tarifen abspeisen wollen. Egal wie absurd die Argumente sind und wie wenig sie mit der Realität zu tun haben – es werden äußere Feinde der Ärzte (und Patienten) stilisiert, um innere Solidarität zu provozieren. Denn was empfiehlt schon Cicero: „Passe Deine Aussagen an die Gründe an, warum dich einer unterstützt“, und: „Sieh zu, dass dein ganzer Wahlkampf eine brillante, glänzende und populäre Show ist, die größte Aufmerksamkeit erzielt.“
„Wiener Zeitung“ Nr. 052 vom 16.03.2017