In der ÖVP werden wieder fantastische Selbstbehaltspläne geschmiedet. Aber eher um Neidreflexe zu bedienen und mehr Geld einzunehmen.
Weiterlesen: SelbstbehaltsfantasienIn einem Interview in der „Presse“ antwortete ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka auf die Frage, ob Selbstbehalte generell kommen sollen, Folgendes: „Der Staat ist auch verantwortlich für die Bürger. Aber vor dem Staat kommt die Eigenverantwortung. Und auf lange Sicht ist unser Gesundheitssystem nur finanzierbar, wenn wir uns unserer Eigenverantwortung stärker bewusst werden. Und Teil dieser Eigenverantwortung kann sicher ein Selbstbehalt für alle sein. Selbstverständlich muss es Sonderregeln für chronisch Kranke und sozial Schwache dabei geben.“
Nun, soweit mir bekannt ist, wird die Gesundheitsversorgung durch uns selbst finanziert – es ist also nicht der Staat, denn der hat ja kein Geld, es sei denn unseres. Damit haben wir also immer 100 Prozent Selbstbehalt. Allerdings wird der eben innerhalb der Bevölkerung derart aufgeteilt, dass nicht das Krankheitsrisiko, sondern das Einkommen ausschlaggebend ist,
Nun ist offenbar geplant, die „Selbstbehaltsverteilung“ als Instrument einzusetzen, um Eigenverantwortung zu stärken.
Eine kluge Idee, meint man, doch wenn man mit Selbstbehalten erreichen will, dass Menschen mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen, geht das nur, wenn die auch wissen, wie das geht. Die Menschen brauchen dazu die Fähigkeit Gesundheitsinformationen zu lesen, zu filtern und zu verstehen, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Man nennt das Gesundheitskompetenz.
Dank unseres extremen Paternalismus, der generell aber im Gesundheitswesen besonders herrscht, ist die Gesundheitskompetenz bei uns so richtig schlecht. Man stelle sich vor, ein niederländischer Schulabbrecher ist in dieser Hinsicht kompetenter als ein hiesiger Akademiker. In Österreich ist praktisch niemand ausreichend kompetent, Gesundheitsinformationen zu lesen, zu filtern und zu verstehen, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Wie können dann Selbstbehalte die Eigenverantwortung stärken? Gar nicht!
Aber, setzen wir einmal eine ausreichende Gesundheitskompetenz voraus, dann könnten Selbstbehalte auf das Gesundheitsbewusstsein nur einwirken, wenn diese schmerzhaft hoch sind und keine Sonderregelungen für sozial Schwache bestehen – denn genau die sind es ja, die man durch fühlbare finanzielle Anreize dazu bringen will, sich gesundheitsbewusster zu verhalten. Werden sozial Schwache, aber auch chronisch Kranke gesondert geregelt – was nur geringere Selbstbehalte bedeuten kann –, bleibt vom Wunsch der Stärkung der Eigenverantwortung gar nichts übrig.
Am Ende geht es wohl darum, Neidreflexe der eigenen Klientel zu befrieden (SVA und BVA, beide ÖVP-dominiert, verlangen Selbstbehalte), und eine Art Beitragserhöhung durchzusetzen, ohne Beiträge zu erhöhen. Das war’s.
PS.: Dass die BVA schwarze Zahlen schreibt, liegt nicht am Selbstbehalt, sondern daran, dass Beamte zur Gruppe der Bestgebildeten, deren Krankheitsrisiko das geringste ist, und der Bestverdienenden, womit die BVA über sehr hohe Einnahmen verfügt, gehören: Ähnliches galt lange auch für die SVA, die jedoch nun wegen der vielen neuen Selbständigen plötzlich Miese schreibt.
„Wiener Zeitung“ Nr. 074 vom 16.04.2015