Fusion der Krankenkassen – ein absolutes No Go

Kassenfusionen sind ein altes Thema – eigentlich sollte dabei eine Vereinfachung und keine Einsparung diskutiert werden.

Weiterlesen: Fusion der Krankenkassen – ein absolutes No Go

   Zu viele Krankenkassen, ein Kassenhonorarsystem, das vernünftige Planung verhindert, strikt getrenntes und doppelgleisiges Arbeiten inner- und außerhalb von Spitälern – das sind keine neuen Probleme, die hat uns die Weltgesundheitsorganisation schon 1969 aufgezeigt.

   Es ist auch nicht so, dass Regierungen sich der Lage nicht bewusst wären. Die Idee, Kassenärzte und Spitäler wenigstens planerisch zusammenzudenken, findet man beispielsweise 1996 in einem Bund-Länder-Kassen-Vertrag, der vorsah, dass es für alle ein einheitliches Leistungsgerüst in Form eines einheitlichen Diagnose-und Leistungskatalogs geben soll. Ein Vorhaben, das nie Realität wurde, aber immer wieder zu finden ist – das letzte Mal 2013, im Bundeszielsteuerungsvertrag. Dort nimmt sich die Regierung vor, ab 2016 einen solchen Katalog einzuführen.

   Und warum sollte man Kassen und Spitäler gemeinsam denken?

   Nun, weil es patientenfreundlicher ist; und billiger. Denn wegen fehlender Abstimmung in und mit der ambulanten Versorgung liegen 900.000 Patienten in Spitälern, die anderswo in Europa ganz klar ambulant behandelt worden wären. Von diesen stecken sich 50.000 unnötigerweise mit Spitalskeimen an (das ist nicht zu verhindern) und einige Hundert werden unnötigerweise sterben. Einmal abgesehen, dass die stationäre Behandlung dieser 900.000 Patienten wohl ein bis zwei Milliarden Euro unnötige Kosten erzeugt, sollte es doch wenigstens das Ziel eines Gesundheitssystems sein, Patienten nicht unnötig zu schaden.

   Wenn also die Rede von der Kassenfusionierung wieder einmal aufpoppt, dann sollte es nicht darum gehen, ein paar hundert oder tausend Versorgungsposten einzusparen, die es zweifellos gibt. Das Thema ist, dass die fehlende Abstimmung zwischen 21 Krankenkassen, 15 Krankenfürsorgeanstalten und den etwa 40 Trägern öffentlicher Akutspitäler zu enormen Problemen und Kosten führt.

   Aktuell arbeiten in den Krankenkassen etwa 8000 Mitarbeiter. Grosso Mode pro Kassenarzt ein Kassenangestellter. Oder anders ausgedrückt: Auf einen Kassenmitarbeiter kommen 1000 Versicherte, um deren Versorgung er sich kümmern sollte. Er könnte, vorausgesetzt, er kriegte die Informationen, die er braucht und die ein einheitlicher Diagnosen- und Leistungskatalog lieferte, kontrollieren, ob beispielsweise ein Diabetiker seine jährliche Augenuntersuchung oder ein Herzinsuffizienzpatient die notwendigen Medikamente erhält. Würden also die Kassen darauf achten, dass die Versicherten möglichst alle notwendigen Leistungen erhalten, die stationären Fälle würden weniger. Stattdessen jedoch konzentrieren sich die Kassen auf kleinliche Arztkontrollen anhand merkwürdiger Statistiken, etwa durchschnittliche Medikamentenkosten pro Ordination – was sagt das über die Versorgung einzelner Patienten aus? Nichts.

   Und warum poppt diese Kassenfusionsdiskussion immer wieder auf? Die Kassen mit den tausenden Mitarbeitern, den Milliarden Umsätzen und den gewaltigen Immobilienreserven stellen Imperien der Einzelgewerkschaften dar, die diese jedenfalls gegen jede Veränderung verteidigen. Mit dem Gesundheitswesen hat das nichts zu tun.

„Wiener Zeitung“ Nr. 212 vom 30.10.2014   

Arbeitnehmerschutz für Spitalsärzte – unwichtig

 

Eine 48-Stunden-Woche und nicht länger als 25 Stunden am Stück – mehr sollten angestellte Ärzte nicht arbeiten dürfen, meint die EU seit 2003.

Weiterlesen: Arbeitnehmerschutz für Spitalsärzte – unwichtig

   Die EU hat 1993 (vor 21 Jahren) eine Arbeitszeitrichtlinie vorgelegt, die das Ziel hatte, den Arbeitnehmerschutz im öffentlichen Dienst, auch in Spitälern, zu verbessern – schließlich ist die EU ja eine Wertegemeinschaft, die gemeinsame Sozialstandards verlangen will, und das nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor. Seitdem war klar, wohin der Zug fährt, auch in Österreich, das damals erst über den EU-Beitritt diskutierte.

   Nun, der erste Vorschlag wurde von den Regierungen zurückgeworfen und eine zehnjährige Verhandlungsphase begann, die 2003 (vor elf Jahren) in einer Arbeitszeitrichtlinie endete. Jetzt war klar, auch für Österreich, dass Arbeitnehmerschutz nicht nur für private, sondern auch für öffentliche Arbeitgeber gilt. Für Spitalsärzte galt ab nun in der ganzen EU: 48-Stunden-Woche und nicht länger als 25 Stunden am Stück.

   2010 legte die EU-Kommission einen Bericht vor, wie denn die Richtlinie umgesetzt wurde. Und da stand einiges über Österreich drinnen:

   Die durchschnittliche Arbeitszeit kann ohne Zustimmung der Mitarbeiter auf 60 Stunden erhöht werden, Mindestruhezeiten werden nicht gewährt, es gibt Verzögerungen bei der Möglichkeit zur Konsumation von Ausgleichsruhezeiten, trotz klarer Aussagen des EuGH (2003) werden Bereitschaftszeiten weiterhin nicht als Arbeitszeit gewertet, was sogar von den Behörden selbst zugegeben wird, und, und, und – wir haben praktisch also gar nichts getan, um EU-konform zu arbeiten.

   2012 wurde von einer Privatperson, die ich sehr gut kenne, eine EU-Beschwerde eingereicht, die die fehlende Umsetzung beklagte.

   2013 musste die Regierung dazu Stellung nehmen. Die Stellungnahme war dermaßen ungenügend, dass die EU am 21. Februar 2014 eine Klage androhte. Und nur, weil eine nicht EU-konforme Umsetzung des Arbeitnehmerschutzes die Regierung Millionen von Euro kosten würde, begann man einzulenken und will nun die Arbeitszeit der Spitalsärzte senken.

   2021, also 28 Jahre, nachdem klar wurde, dass die Ausbeutung von Spitalsärzten nicht in das europäische Wertegerüst passt, werden wir die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG umgesetzt haben!

   Und warum erst 2021? Weil es sonst zu überraschend käme und die Politik keine Zeit habe, sich auf diese „neuen“ Bedingungen einzustellen. Was für eine Begründung!

   Realiter geht es darum, dass die Länder weiterhin keine Spitalsreform wollen. Jeder Standort muss gesichert werden, selbst wenn klar ist, dass damit mehr geschadet als genützt wird. Und weil der Spitalswildwuchs belieben muss, geht es jetzt darum zu verhandeln: Der Finanzausgleich muss Ländern mehr Geld bringen, etwaige Rettungspakete sind zu schnüren, Stabilitätspakt und „Kostendämpfungspfad“ der Gesundheitsreform müssen aufgeschnürt werden etc. Das braucht Zeit.    Und bis dahin ist, wie bisher, der Arbeitnehmerschutz völlig egal, auch den Gewerkschaftern Sabine Oberhauser und Rudolf Hundstorfer, die für alle Arbeitnehmer 12 statt 10 Stunden am Stück bei einer 40-Stunden-Woche ausschließen, aber bei Spitalsärzten 49 Stunden am Stück bei einer 60-Stunden-Woche okay finden

„Wiener Zeitung“ Nr. 192 vom 02.10.2014