Parallele Welten – Ärztekammer und Lehrpraxis

(Folgender Brief hat mich erreicht – habe mit Veröffentlichung aber warten wollen, bis Ärztekammerwahl vorbei ist!)

 

Vor Kurzem fand nach längerer Pause auf Initiative des zuständigen Wiener Referenten Kollegen Lindner ein Fortbildungsseminar für Lehrpraxisleiter statt. Wir Referenten boten, wie ich denke, doch tiefgehende Vorträge von den Grundlagen der Didaktik bis zu den Aspekten der Qualitätssicherung.

17 motivierte TeilnehmerInnen führten mit uns rege Diskussionen. Aber im Endeffekt war das Ganze eine freiwillige Kür von ein paar Unentwegten, die sich offensichtlich trotz aller noch so widrigen Umständen nicht abbringen lassen, missionarisch eine Ausbildungsform einzufordern und zu fördern, die im Ausland Standard und Conditio-sine-qua-non für eine gute Basisversorgung der Bevölkerung ist. Wir sind vom Kollektivvertrag geknebelt, bei der Weiterbildung und Qualitätsverbesserung 100% auf uns alleine gestellt und ohne jegliche Motivation, Unterstützung und Information im Regen stehen gelassen. So zeigte dieser Seminar-Tag einen weiteren  Anachronismus österreichischer Gesundheitspolitik. An der Basis wird nach wie vor, wie ich denke, qualitativ zufriedenstellend gelehrt, aber abgenabelt von jeglicher materiellen und moralischen Unterstützung derer, die ständig groß die seit Jahrzehnten fällige Aufwertung der Hausarztmedizin hinausposaunen.

 Denn die leben in einer Parallelwelt. Hinter verschlossenen Türen verhandeln sie seit Jahren über eine fixe Etablierung der Lehrpraxis in der allgemeinmedizinischen Ausbildung, mit Mühe haben die Entscheidungsträger zu einem Minimalkonsens anscheinend durchgerungen. 6 Monate ist wieder die kürzeste Zeit in Europa. Und dass man das Ergebnis nur ja nicht als Facharzt tituliere. Denn dann könnte man in Zukunft ja nicht mehr auf die angeblich so wichtigen „Barfußmediziner“ hinunterschauen. Aber weiterhin sind die Harmonisierung der Universitätslehrpläne (hat da keiner vorher dran gedacht?) und die Finanzierung ein schier unüberwindbares Hindernis.

Jedoch von dem, wie es in einer Lehrpraxis zugeht und von dem, was am Samstag im Seminar zu hören war, haben die Verhandler aller Seiten anscheinend keine Ahnung, sonst gäbe es eine Lösung schon seit Jahren.

 Sogar der Lehrpraxisreferent der Wiener Kammer weiß so viel über die Entwicklungen wie ich, nämlich nichts. Denn wir werden nicht informiert. Und die in den Verhandlungszimmern des Ministeriums wissen über die Qualitäten gut gelebter Lehrpraxis auch nichts, denn die hören uns nicht zu.

 Unsere Zuhörer fragten sich angesichts dieser Parallelwelt der bürokratischen Ignoranz am Schluß, wie es sich eine Gesellschaft überhaupt heute noch leisten kann, alle die durch langjährige Tätigkeit erfahrenen HausärztInnen in Pension zu schicken, ohne dass diese je ihr Wissen an die Nachfolgegeneration weitergeben haben konnten.

 Es wird auch langsam Zeit, dass das Ausland Wind bekommt, was hier verspielt wird und wie Beobachter durch bisherige Notlösungen (Lehrambulanzen) schamlos hinters Licht geführt werden.

Herzliche Grüße aus Graz (Name bekannt)

Die Anti-ELGA Kampagne der Wiener Ärztekammer

Sehr laut und mit heftigen Begleitumständen verbunden ist sie, die Kampagne, die die Wiener Ärztekammer gegen ELGA fährt!

Neben polemischen Slogans wie „ELGA kostet Sie Ihr letztes Hemd“ und „ELGA stellt Sie vor den anderen bloß“ werden nackte Menschen auf Postern und Inseraten dargestellt. Folder mit „nackte Fakten“ und Sonderausgaben  von Kammerzeitungen flattern jedem Arzt ins Haus, dazu kommen noch Pamphlete wahlwerbender Splittergruppen – denn es herrscht Ärztekammer-Wahlkampf. Selbst  ein Youtube-Video, in dem Vizepräsident Dr.Johannes Steinhart erklärt, was ELGA in „Wahrheit“ bringen wird, gehört zur „Informationsoffensive“. Fast eine halbe  Million Euro, bezahlt aus Ärztekammerbeiträgen, werden ausgegeben, um klar zu machen, dass ELGA böse ist, furchtbar böse.

Die Strategie dazu ist simpel und biblisch: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“. Das bedeutet, der Feind (i.e. das Ministerium), und alles was er berührt. ist böse. Dabei werden auch alle Unterlagen des Feindes oder jener, die sich nicht eindeutig gegen ELGA aussprechen, pauschal als falsch und böse dargestellt. ELGA wird zur Ideologiefrage hochstilisiert, weit weg von jeglicher Sachebene!

Und so verwundert es nicht, wenn, wie die Kammer meint, dass in allen, außer den eigenen Berechnungen, gravierende Rechenfehler enthalten sind. Der Beleg dafür fehlt freilich, oder ist wenigstens nicht öffentlich zugänglich. Und wie es sich gehört, ist der, der nach Details fragt ebenfalls böse. Das erspart eine detaillierte Darstellung der eigenen Meinung. Wobei, was Transparenz betrifft, das Ministerium der Ärztekammer um nichts nachsteht. Die Studie, auf die sich das Ministerium beruft wurde längst wieder von der Homepage genommen, konnte aber glücklicherweise in einer der vielen Varianten, die es gab, hier gesichert werden.

Aber wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, sollte man meinen, und die Informationen der Ärztekammer deuten darauf hin, dass dieser Spruch ernst genommen werden sollte – wenn es wirklich um objektive Information ginge!

Bei einer [protected](Detailanalyse)[/protected]der kämmerlichen Publikationen, erweisen sich eigentlich alle Angaben als unplausibel.

(1) von den selbst errechneten 1,22Mrd.€, die die Ärzte in den nächsten 10 Jahren aufbringen müßten (zwei Drittel der kämmerlich angenommenen ELGA-Gesamtkosten von 1,87Mrd.€) bleiben möglicherweise nur 250 Mio.€ übrig. Nebenbei bemerkt, die Rechnungen wurden von einer Steuerberatungskanzlei durchgeführt, deren Inhaber zufällig Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder ist – ob hier die eine Kammer der anderen hilft, sich gegen lästige Einmischungen demokratisch legitimierter Politiker zu wehren?

(2) die kommunizierten „negativ“- Beispiele der ELGA- Initiativen anderer Länder sind schlecht recherchiert, und „positiv“- Beispiele werden gleich gar nicht erwähnt.

(3) der Nutzen einer ELGA wird generell negiert, mehr noch, es werden „neueste“ Studienergebnisse präsentiert, die sogar nachweisen, dass die Menschen durch ELGA öfter sterben, als ohne! Nachrecherchiert, sind das Studien aus 2005 (!), die alles andere als geeignet sind, Generalisierungen abzuleiten.

(4) die technischen Grundlagen werden so dargestellt, als ob es zu einer zentralen Datenspeicherung mit unkontrolliertem und quasi freiem Zugang für 120.000 Menschen kommt, die jeden Patienten ausschnüffeln können – obwohl das technisch nicht möglich ist, mehr noch, verglichen mit heute der Datenschutz sogar verbessert würde!

(5) und zu allem Überfluss wird es, so wird suggeriert, wegen den horrenden Kosten zu spürbaren Rationierungen kommen müssen! Die ELGA-Gesamtkosten liegen selbst wenn man sie hoch annimt bei nicht mehr als 0,5% bis 1% der öffentlichen Ausgaben für Gesundheitsversorgung – und damit in der statistischen Unschärfe. Daraus Rationierung abzuleiten ist Chuzpe.

Jedenfalls werden in den öffentlich zugänglichen Unterlagen und dem Video der Informationsoffensive fremde Zahlen, Daten und Fakten nicht, dafür eigene „nackte Fakten“ präsentiert. Die Informationen, die man so findet, sind, na sagen wir mal, allesamt semi-falsch. Das ist wichtig, denn mit Halbwahrheiten kommt man rechtlich durch, aber für den der sich nicht auskennt, bei dem kommen sie sicher falsch an! Das sind moderne Kampfstrategien, ohne Schwert dafür mit machiavellischen Hintergedanken!

Detailanalyse der Anti-ELGA Kampagne der Wiener Ärztekammer

Ein sehr verwirrendes Zahlenspiel

Eine der am häufigsten wahrgenommenen Aussagen der Ärztekammer rund um ELGA  ist, dass diese in 10 Jahren 2 Mrd.€ kosten wird. Beim Studium der Unterlagen  stellt man fest, dass das wohl eine Übertreibung der eigenen Zahlen ist. Schließlich sprechen selbst die kämmerlich vorgelegten Berechnungen auf Seite 9 der Sonderzeitung  „nur“ von 1,873 Mrd.€ –  127 Mio,€ fallen da also unter den Tisch oder eben oben drauf.

Solche Übertreibungen würden mich nicht weiter stören, gehören sie doch zum politischen Geschäft (wiewohl mir nicht klar ist, warum eine Kammer Politik machen muss), wenn da nicht andere Zahlen, sehr viel niedrigere Zahlen, dramatisiert würden. Im Youtube-Video des Vizepräsidenten Steinhart kann man erfahren, dass das Wiener AKH wegen 9 Mio.€ vor dem ABGRUND stand. Nun, wenn ich rechnen kann, dann könnte man mit den Unterschlagenen 127 Mio.€ das AKH 14 Jahre lang vor dem Abgrund bewahren – 127 Mio.€ sind kein Lüferl!

Nun, irgendwie lässt sich der Eindruck nicht verwehren, dass es bei den kolportierten 2 Mrd.€ weniger darum geht zu Informieren, als Panik zu machen. In dem Fall sind natürlich logische Einwände vergebens.

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Mehr oder weniger geheime ELGA-Studie

Diese Studie wurde 2008 erstellt, war dann ganz kurz online, um dann wieder zu verschwinden. Da es sehr viele Varianter dieser Studie gab – je nach politischem Verhandlungsstand (und hier wurde massiv verhandelt, als ob man  wissenschaftlichen Ergebnisse verhandeln könnte?!?) – kann ich keine Garantie übernehmen, dass diese wirklich die „endgültige“ ist.

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Ärztebedarf Detailanalyse

 

Problemaufriss:

In Österreich wurden 2009 (inkl. Zahnärzten) etwa 44.000 Ärzte in Ärztelisten geführt. Dort wird man nur geführt, wenn man ärztlich tätig ist oder tätig sein will. Die Zahl der ärztlich tätigen Ärzte wächst, nach einem dynamischen Wachstum seit 1970, ab den späten 1980er Jahren beinah linear.

Anzahl der Aerzte absolut
Anzahl der Aerzte absolut

Quelle: Statistik Austria, 2010

Mit 44.000 Ärzten ist Österreich im internationalen Vergleich „sehr gut“ ausgestattet. Nichts desto trotz wird immer wieder davon gesprochen, dass es entweder bereits Ärztemangel gibt, oder aber man, weil die Ausbildungskapazitäten unzureichend seien, auf einen solchen zusteuere. Die Ausbildungskapazitäten in Österreich beziehen sich auf zwei, voneinander unabhängige, jedoch obligat hintereinander gereihte Ausbildungswege: das Medizinstudium, dass Absolventen berechtigt, eine Ausbildung zum Arzt anzutreten und der Turnus, sei es zum Allgemeinmediziner oder zum Facharzt, der als praktischer Teil die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Arztberufs vermitteln soll.

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