Aussitzen – das gesundheitspolitische Credo

Nichts ist älter als die Zei­tung von Ges­tern, nichts fürch­ten Po­li­ti­ker mehr als die Zei­tung von Mor­gen – und so geht es darum, bis über­mor­gen durch­zu­tau­chen!

Wer er­in­nert sich an die To­des­fäl­le, über die in einem ver­mut­lich il­le­gal unter Ver­schluss ge­hal­te­nen Qua­li­täts­be­richt zu lesen war; der aber durch das Ent­hül­lungs­buch „Ver­schluss­sa­che Me­di­zin“ (Lang­bein 2009) be­kannt wurde? Nie­mand; ob­wohl sich das Buch zig-tau­send Mal ver­kauft hat, da­mals alle Zei­tun­gen voll waren und sogar im Fern­se­hen dis­ku­tiert wur­den.

Die Kon­se­quen­zen? Der Prüf­arzt, der diese Qua­li­täts­män­gel im Auf­trag des Lan­des Nie­der­ös­ter­reich (im Wege ihr ge­hö­ren­der Un­ter­neh­mun­gen) ent­deckt und zu Pa­pier ge­bracht hat, wurde ge­kün­digt. Das war’s!

Die Staats­an­walt­schaft, im­mer­hin han­del­te es sich m. E. um Of­fi­zi­al­de­lik­te (Kör­per­ver­let­zung, ge­werbs­mä­ßi­ger schwe­rer Be­trug), die in die­sem Buch be­schrie­ben wur­den, blieb stumm, kein Pri­mar­arzt wurde zu Ver­ant­wor­tung ge­zo­gen, der obers­te me­di­zi­ni­sche Vor­ge­setz­te Dr. Griess­ner, der per­sön­lich an der Un­ter­drü­ckung des Be­richts be­tei­ligt war, fährt wei­ter mit Chauf­feur auf Steu­er­kos­ten herum und der zu­stän­di­ge Lan­des­rat Wolf­gang So­bot­ka – naja, der darf of­fen­bar eh alles!

Warum blieb das ohne echte Kon­se­quen­zen? Und das in einer Welt, wo an­de­re wegen un­kor­rek­ter Dis­ser­ta­tio­nen ihre Ämter ver­lie­ren?

Man muss aber gar nicht über Tote reden, um fest­zu­stel­len, wie kon­se­quenz-, nein, ver­ant­wor­tungs­los die Ge­sund­heits­po­li­tik ist.

Neh­men wir den Ös­ter­rei­chi­schen Kran­ken­an­stal­ten Plan ÖKAP 2001 (eine vom Bund er­las­se­ne, für Län­der an­geb­lich ver­bind­li­che Pla­nungs­grund­la­ge). Die­ser ÖKAP wurde zwi­schen 1997 und 2001 ver­han­delt, mit dem Ziel der Um­set­zung bis 2005. Groß­ar­tig waren die Me­di­en­be­rich­te über diese „Re­form“. Als es 2005 darum ging, fest­zu­stel­len, was davon Rea­li­tät wurde, war nichts zu fin­den. Und als ein (mit Steu­ern be­zahl­ter) Eva­lu­ie­rungs­be­richt auch noch genau das ergab, be­schlos­sen die Län­der­ver­tre­ter den­sel­ben unter Ver­schluss zu hal­ten – und zwar so streng, dass er nur elek­tro­nisch, auf einem ge­sperr­ten Ser­ver, mit je einem Pass­wort pro Bun­des­land, ver­füg­bar war. Und weil 2001 oh­ne­hin so weit zu­rück­lag, und sich nie­mand er­in­nern konn­te, wurde 2006 ein­fach eine neue Re­form pro­kla­miert – mit bei­nah dem glei­chen, ju­beln­den Wort­laut wie 2001 – einst ju­bel­te Staats­se­kre­tär Rein­hard Wan­eck, dies­mal Bun­des­mi­nis­te­rin Maria Rauch-Kal­lat. Tja, und wenn ich den ent­spre­chen­den Rech­nungs­hof­be­richt vom April 2010 über die Um­set­zung der letz­ten Re­form lese, dann war es auch dies­mal nur Show!

Kon­se­quen­zen? Null! Und warum?

Me­di­en, ge­ra­de, wenn sie wie heute von Pres­se­för­de­rung und Wer­be­ein­schal­tun­gen der öf­fent­li­chen Hand (sei es di­rekt, oder eben in­di­rekt über Fir­men, die haupt­säch­lich von Auf­trä­gen aus Po­li­ti­ker­hän­den leben) ab­hän­gen, kön­nen ein­fach nicht in der Ver­gan­gen­heit wüh­len und ein Thema so lange spie­len, bis es Kon­se­quen­zen gibt. Noch dazu in der un­durch­schau­ba­ren Ge­sund­heits­po­li­tik, in der es sehr leicht ist, zu tar­nen und zu täu­schen. Also weiß jeder Po­li­ti­ker, egal wie schlimm oder gar kri­mi­nell seine Hand­lun­gen sind – er muss nur ab­war­ten.

Jetzt ste­hen wie­der Re­for­men an, be­gin­nend in der Stei­er­mark, Ober­ös­ter­reich und Wien; und sie klin­gen wirk­lich groß (für hie­si­ge Ver­hält­nis­se – im Nor­den Eu­ro­pas würde man dazu höchs­tens An­pas­sung sagen). Warum soll­ten sie dies­mal den Boden be­rüh­ren? So ganz ohne funk­tio­nie­ren­de Kon­trol­le! Wo doch klar ist, dass „nur Zwang und Not, nicht ge­schrie­be­ne Ver­trä­ge und Ver­pflich­tun­gen den Herr­scher dazu trei­ben, sein Wort zu hal­ten“ (Mac­chia­vel­li).

Die­ser Ar­ti­kel wurde im März 2011 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Die Windschatten-Spitalsreform

Erd­be­ben, Tsu­na­mi, GAU in meh­re­ren Atom­mei­lern, Re­vo­lu­ti­on in der is­la­mi­schen Welt und EU-Vor­ga­ben gegen Schul­den­ma­che­rei.

Ge­tarnt durch glo­ba­le The­men, ge­zwun­gen durch die EU, haben es (vor­erst nur) Wien und Stei­er­mark ge­wagt, eine grö­ße­re Spi­tals­re­form an­zu­kün­di­gen. Noch ist es Ge­re­de und Pa­pier; die Mühen der Ebene kom­men aber. Der Wi­der­stand wächst be­reits und die Kampf­trup­pen der Zwer­gen-Häu­ser haben sich schon in Stel­lung ge­bracht – das Ha­la­li wird zei­gen, wie die Stre­cke aus­sieht.

Aber – ich hoffe, die Po­li­tik wird we­nigs­tens eine Zeit lang durch­hal­ten. Al­ler­dings sind, will die Re­form nach­hal­tig sein, zwei Phä­no­me­ne zu be­den­ken!

Da sind ein­mal un­ver­hofft auf­tre­ten­de Krank­heits­wel­len.

Den­ken wir an Bad Aus­see. Die dor­ti­ge Chir­ur­gie ist seit Jahr­zehn­ten um­strit­ten, da das Spi­tal nur ein Ein­zugs­ge­biet von 15.000 Men­schen hat (80.000 wäre das ver­nünf­ti­ge Mi­ni­mum). Als die Schlie­ßungs­dis­kus­si­on 2008 am hef­tigs­ten war, wurde dort ar­gu­men­tiert, dass es 39 Blind­darm-OPs ge­ge­ben habe – zwei Drit­tel davon zeit­kri­tisch! Wenn es nicht ir­gend­ei­ne, noch un­be­kann­te, Krank­heit gibt, die Blind­darm­ent­zün­dun­gen aus­löst, dann soll­ten es aber nicht mehr als 15 pro Jahr sein. Das wäre guter me­di­zi­ni­scher Stan­dard. Alles dar­über ist mög­li­cher­wei­se me­di­zi­nisch nicht wirk­lich in­di­ziert (ob­wohl ich keine be­wuss­te Falschin­di­ka­ti­on un­ter­stel­len will) und dient nur der Dar­stel­lung der ei­ge­nen Wich­tig­keit.

Diese „Ap­pen­di­zi­tis-En­de­mie“ zeigt, wer­den Kür­zun­gen oder gar Schlie­ßun­gen an­ge­kün­digt, be­steht die Ge­fahr der „Über­the­ra­pie“. Bei Spi­tä­lern be­deu­tet das zu viel sta­tio­nä­re Auf­nah­men, bei Chir­ur­gi­en zu häu­fi­ge Ope­ra­tio­nen – mit all den ne­ga­ti­ven Kon­se­quen­zen, wie ver­meid­ba­re Kom­pli­ka­tio­nen.

Und dann ist da noch das Kul­tur-Phä­no­men.

Als in einem gro­ßen Spi­tal zehn von 270 in­ter­ne Bet­ten wegen Umbau ge­sperrt wur­den, brach Chaos aus. Gang­bet­ten, län­ge­re Auf­ent­hal­te und ver­mut­lich auch War­te­zei­ten waren die Folge. Das hatte aber nichts damit zu tun, dass es ob­jek­tiv zu wenig Res­sour­cen gab, son­dern nur, dass die Kul­tur nicht auf eine Kür­zung vor­be­rei­tet war.

Denn hin­ter der Be­le­gung von Bet­ten ste­hen viele Pro­zes­se und un­ter­schied­lichs­te Pro­zes­s­eig­ner. Da sind die zu­wei­sen­den Ärzte, die, die in der Am­bu­lanz über die Auf­nah­me ent­schei­den, die auf der Sta­ti­on ar­bei­ten etc.; alle haben ge­lernt mit den vor­han­de­nen Res­sour­cen aus­zu­kom­men. Wer­den diese plötz­lich we­ni­ger, dau­ert es, bis sich alle an­ge­passt haben, sich also die Kul­tur ge­än­dert hat.

Eine sol­che Kul­tur­än­de­rung kommt nicht über Nacht und be­trifft auch nicht nur das Spi­tal. Soll es zu einer nach­hal­ti­gen Ver­än­de­rung kom­men, müs­sen sich alle in der Re­gi­on, von den nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten bis zu den nach­sor­gen­den Struk­tu­ren der Pfle­ge, än­dern.

Zu­sam­men­ge­fasst heißt das, dass im Rah­men einer Spi­tals­re­form, be­gin­nend ab dem Zeit­punkt der An­kün­di­gung bis lange nach der Um­set­zung, sich ge­gen­sei­tig auf­schau­keln­de Phä­no­me­ne zu er­war­ten sind. Die­sen kann man nur be­geg­nen, wenn ers­tens von An­fang an das Auf­nah­me­ver­hal­ten der be­trof­fe­nen Spi­tä­ler genau kon­trol­liert wird, und zwei­tens die Pro­zes­se auf allen Ebe­nen aktiv ge­steu­ert wer­den. Pas­siert das un­zu­rei­chend, wird es Gang­bet­ten und län­ge­re War­te­zei­ten geben. Und genau das wird jenen in die Hände spie­len, die eine Spi­tals­re­form immer schon ver­hin­dern woll­ten.

Daher, nur wenn die Po­li­tik aktiv ist, hart bleibt, und lang­fris­tig denkt, wird sie das, was sie jetzt an­kün­digt, auch auf den Boden brin­gen. Hof­fent­lich blei­ben die glo­ba­len Ab­len­kun­gen dafür lange genug er­hal­ten.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im März 2011 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Das gesundheitspolitische Sprachgewirr

Gerne wird be­haup­tet, wir hät­ten das beste Ge­sund­heits­sys­tem und ar­gu­men­tiert das bei­spiels­wei­se mit den Er­fol­gen der Krebs­be­hand­lung.

Ab­ge­se­hen, dass die meis­ten Aus­sa­gen ar­bi­trär sind, wer­den dabei Be­hand­lung, Ver­sor­gung und Ge­sund­heits­sys­tem ver­mischt. Grund­sätz­lich gilt aber, dass die Be­hand­lung eines Pa­ti­en­ten nicht au­to­ma­tisch etwas mit sei­ner Ver­sor­gung und noch viel we­ni­ger mit dem Sys­tem zu tun hat. Daher kön­nen Be­hand­lungs­er­fol­ge auch nicht di­rekt der Ver­sor­gung und schon gar nicht dem Sys­tem zu­ge­spro­chen wer­den. Ge­sund­heits­sys­tem, Ver­sor­gung und Be­hand­lung sind, wie­wohl sys­te­misch mit­ein­an­der ver­knüpft, ver­schie­de­ne Ebe­nen.

Be­hand­lung ist das, was in der Be­zie­hung zwi­schen Pa­ti­ent und sei­nem Arzt (oder Ge­sund­heits­pro­fes­sio­nis­ten) un­mit­tel­bar pas­siert.

Die bei­den tref­fen sich aber nicht zu­fäl­lig und grund­los. Hin­ter ihnen steht eine kom­ple­xe Lo­gis­tik, die ein Tref­fen erst er­mög­licht. Sei es, dass Tri­via­li­tä­ten wie Treff­punkt (Or­di­na­ti­on, Spi­tal etc.) und Fi­nan­zie­rung, aber auch kom­ple­xe Um­stän­de, wie die Mo­ti­va­ti­on der bei­den vor­han­den sein müs­sen. Beim Pa­ti­en­ten ist letz­te­res schein­bar ein­fach, schließ­lich ist er krank. Aber auch da gibt es nicht tri­via­le Fra­gen: Wel­che Schmer­zen, Wege, War­te­zei­ten ist er be­reit auf sich zu neh­men, um zum Treff­punkt zu ge­lan­gen? Wel­ches Ri­si­ko (z.B.: Ver­lust der Selbst­be­stim­mung) be­steht, wenn er sich in diese, von In­for­ma­ti­ons­asym­me­trie ge­präg­te, Be­zie­hung, ein­lässt? Noch kom­ple­xe­re Fra­gen fin­det man beim Arzt. Schließ­lich wird von der Be­zah­lung bis zu den Ar­beits­be­din­gun­gen alles An­rei­ze dar­stel­len, diese Be­zie­hung in die eine oder an­de­re Rich­tung zu steu­ern. All diese Fra­gen und Ant­wor­ten ge­hö­ren zur Ver­sor­gungs­ebe­ne.

Und weil diese nicht im luft­lee­ren Raum steht, schwebt dar­über das Ge­sund­heits­sys­tem. Hier soll­ten die Fra­gen abs­trakt sein: Was soll das Sys­tem er­rei­chen? Wie ent­wick­le ich Ziele und wie messe ich sie? Und: Von wem nehme ich für wen das Geld?

Stand­ort­dis­kus­sio­nen ge­hö­ren nicht zu Sys­tem­fra­gen und Be­hand­lungs­fra­gen schon gar nicht. Im all­ge­mei­nen Sprach­ge­wirr, wird aber Ge­sund­heits­sys­tem, Ver­sor­gung und Be­hand­lung syn­onym ver­wen­det; meist von Ak­teu­ren, die ein Ei­gen­in­ter­es­se daran haben, dass die Be­völ­ke­rung keine Un­ter­schei­dung tref­fen kann. Das er­mög­licht po­li­ti­schen Ge­winn, da so jede er­folg­rei­che Be­hand­lung – und das sind ja die meis­ten – als Er­folg des Sys­tems oder der Ver­sor­gung im All­ge­mei­nen und deren po­li­ti­scher Ver­tre­ter im Be­son­de­ren ge­wer­tet wer­den kann.

Die Gren­zen der Ebe­nen sind üb­ri­gens dann kla­rer, wenn es um ne­ga­ti­ve Er­fol­ge geht. Üb­li­cher­wei­se ist ein Spi­tals­arzt dann selbst schuld und nicht das Spi­tal und schon gar nicht das Bun­des­land. Ana­log im nie­der­ge­las­se­nen Be­reich, dort wird es nie zur Schuld­haf­tig­keit der Kas­sen oder des Ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums kom­men, wenn eine Be­hand­lung er­folg­los blieb.

Wer die Re­form­dis­kus­si­on an­schaut, kann er­ken­nen, wer es ernst meint und wer nicht. Will ein Ak­teur zu­sätz­lich auf an­de­ren als der ei­ge­nen Ebene be­stim­men, dann geht es nur um Macht. Das ist bei­spiels­wei­se so, wenn Län­der so­wohl Spi­tä­ler, in­klu­si­ver deren Ab­tei­lungs­struk­tu­ren, be­trei­ben als auch (mit frem­dem Geld) fi­nan­zie­ren wol­len. Bei die­ser Kom­pe­tenz­ver­mi­schung zwi­schen Sys­tem- und Ver­sor­gungs­ver­ant­wort­lich­keit ist pro­gnos­ti­ziert, dass Ziele nicht un­ab­hän­gig der Ver­sor­gungs­struk­tu­ren er­stellt wer­den, und auch die Er­geb­nis­se nicht ob­jek­tiv sein wer­den, son­dern dem ent­spre­chen, was der Ver­sor­ger er­rei­chen will. Und weil da die Po­li­tik mit­spielt, ist das Er­reich­te dann „das Beste der Welt“.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im März 2011 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Ein durch und durch ländlicher Reformvorschlag

Es ist be­ein­dru­ckend und er­schre­ckend, die „Re­al­ver­fas­sung“ ar­bei­ten und den, jeg­li­che Ent­wick­lung un­ter­drü­cken­den, Pro­vin­zia­lis­mus herr­schen zu sehen.

Wegen zu Gut­ten­berg kaum be­ach­tet, wurde das Jun­gend­wohl­fahrts­ge­setz ge­än­dert. An­lass war nicht der Wunsch nach Ver­bes­se­rung; nein, man muss­te was tun, weil unter den Augen der zu­stän­di­gen Lan­des­be­hör­den, die of­fen­bar das Ri­si­ko falsch ein­ge­schätzt hat­ten, meh­re­re Kin­der zu Tode ge­prü­gelt wur­den. We­sent­lichs­te Än­de­rung nun ist die Ein­füh­rung eines Vier-Au­gen-Prin­zips bei der Ri­si­ko­ein­schät­zung. Diese Maß­nah­me könn­te nicht nur Kin­der­le­ben ret­ten son­dern auch viel Leid und Trä­nen er­spa­ren – aber sie kos­tet etwas: etwa 4 Mil­lio­nen Euro für ganz Ös­ter­reich!

4 Mil­lio­nen! Die müss­ten bei den etwa 120.000 Mil­lio­nen Euro, die uns die öf­fent­li­chen Hände jedes Jahr weg­neh­men, ein­fach in der sta­tis­ti­schen Un­schär­fe ver­schwin­den. Jeder Mensch würde ohne Zö­gern ja sagen; aber, Lan­des­po­li­ti­ker sind an­ders: Wenn der Bund Kin­der ret­ten will (of­fen­bar wol­len Lan­des­po­li­ti­ker das nicht!), dann soll er das zah­len.

Des­we­gen haben sie – bes­tens or­ga­ni­siert in der Lan­des­haupt­leu­te­kon­fe­renz, einem nicht le­gi­ti­mier­tem Kar­tell – schlicht Nein ge­sagt.

Man muss wis­sen, dass das Jun­gend­wohl­fahrts­ge­setz, ähn­lich dem Kran­ken­an­stal­ten­ge­setz, in der Aus­füh­rung Län­der­sa­che ist. Der Bund gibt den Rah­men vor und die Län­der, über ei­ge­ne Ge­set­ze, die Um­set­zung. Und da sie mit der Aus­füh­rungs­ge­setz­ge­bung auch die Sank­tio­nen bei Nicht-Ein­hal­tung fest­le­gen dür­fen, ist klar, wenn sie nicht wol­len, pas­siert wirk­lich nichts – Ge­setz hin oder her! Und ob­wohl es für die ein­zel­nen Län­der hier nur um we­ni­ge hun­dert­tau­send Euro ge­gan­gen wäre, be­zah­len wird es am Ende der Bund! Ohne dass es eine Ga­ran­tie auf Um­set­zung gäbe und das Geld nicht wie bei den Leh­rern ir­gend­wo ver­schwin­det.

Jetzt geht es um die Spi­tals­re­form und dabei nicht nur um vier, son­dern um Hun­der­te Mil­lio­nen Euro, die die Län­der nicht haben, aber brau­chen, wol­len sie ihre Spi­tä­ler (ei­gent­lich nur Ein­rich­tun­gen, um über Res­sour­cen und Macht zu be­stim­men) nicht ver­lie­ren. Und da die Län­der be­reits be­wie­sen haben, ohne jeg­li­ches Ge­wis­sen zu han­deln, wenn nicht ein­mal ge­prü­gel­te Kin­der ihr Herz rüh­ren, kann ich mir nicht vor­stel­len, dass sie hier auch nur einen Fin­ger­breit nach­ge­ben!

Daher sehe ich schwarz! Ganz ab­ge­se­hen, dass die Ge­sund­heits­re­form schon wie­der sinn­los frag­men­tiert und geld­las­tig dis­ku­tiert wird (Kas­sen­sa­nie­rung, Spi­tals­fi­nan­zie­rung, Pfle­ge­fonds – grau­en­haft), ist wohl außer zu­sätz­li­chem (Bun­des­steu­er)Geld für die Län­der nichts mehr mög­lich. Denn genau das, gut ver­klau­su­liert unter blen­den­den Ab­sich­ten und nach Zu­ge­ständ­nis­sen klin­gen­den Wor­ten, be­deu­tet der Re­form­vor­schlag, den die Län­der letz­ten Frei­tag be­schlos­sen haben.

Noch wird so getan, als ob es Ver­hand­lungs­spiel­raum gäbe. Im­mer­hin konn­te man bis vor kur­zem noch hof­fen, dass Maas­tricht hel­fen würde, den Wahn­sinn zu be­en­den. Denn, wenn Mil­li­ar­den Euro aus­ge­la­ger­ter und immer wei­ter wach­sen­der Spi­tals­schul­den ins Bud­get zu­rück­fal­len, soll­te das ein Fi­nanz­mi­nis­ter – so sehr er am Gän­gel­band fa­mi­liä­rer Struk­tu­ren und der Re­al­ver­fas­sung hängt – nicht igno­rie­ren kön­nen. Und dann sind da noch Hans Jörg Schel­ling vom Haupt­ver­band und Ge­sund­heits­mi­nis­ter Alois Stö­ger. Beide woll(t)en der länd­li­chen Macht ent­ge­gen­tre­ten. Ihnen zur Seite ste­hen die ge­sam­te Op­po­si­ti­on, alle Me­di­en, alle Ex­per­ten und sogar das Volk.

Doch das reicht nicht! Denn die Kur­fürs­ten der Re­al­ver­fas­sung haben an­ders ent­schie­den – und das kann nie­mand än­dern. Armes Ös­ter­reich!

Die­ser Ar­ti­kel wurde im März 2011 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Scheinheiligkeit in der Zwei-Klassen-Medizin

Ös­ter­rei­cher leben auf einer Insel der Se­li­gen und mögen keine Ver­än­de­run­gen. Dafür ak­zep­tie­ren sie auch al­ler­hand Schein­hei­lig­keit.

HR Dr. P, Be­am­ter i.R. und Be­zie­her einer statt­li­chen Pen­si­on, hat eine Zu­satz­ver­si­che­rung. Jetzt braucht er eine Hüfte und wähnt sich ob sei­ner Be­zie­hun­gen und sei­ner Zu­satz­ver­si­che­rung in guter Po­si­ti­on, so­wohl Spi­tal als auch Zeit­punkt der Ope­ra­ti­on aus­su­chen zu kön­nen.

Tja – darf er das über­haupt? Dem ge­schrie­be­nen Ge­setz nach na­tür­lich nicht. Aber was sind die hier­zu­lan­de schon wert?

Recht­lich er­laubt eine Zu­satz­ver­si­che­rung gar nichts, außer ein biss­chen Luxus und die Mög­lich­keit, sich den Arzt im Spi­tal aus­zu­su­chen.

Wie schaut es aber mit dem un­ge­schrie­be­nen Ge­setz aus? Im­mer­hin gilt ja nicht ein­mal die Ver­fas­sung in ihrer ge­schrie­be­nen Form, son­dern nur die „Re­al­ver­fas­sung“. Also gel­ten ver­mut­lich auch „Re­al­ge­set­ze“.

1,1 Mil­lio­nen Ös­ter­rei­cher haben eine Zu­satz­ver­si­che­rung. Von ihren Bei­trä­gen wer­den an Ärzte in öf­fent­li­chen Spi­tä­lern jähr­lich 500 Mil­lio­nen Euro als Ho­no­ra­re aus­be­zahlt. Be­deu­tet, dass jeder Spi­tals­arzt mo­nat­lich etwa 900 Euro netto (bei 14 Ge­häl­tern) zu­sätz­li­ches Ein­kom­men hat. Von sei­nem ei­gent­li­chen Ar­beit­ge­ber, meist Län­dern, er­hält er etwa 2.900 Euro. Zäh­len wir zu­sam­men, ver­dient er – wohl­ge­merkt, vom Tur­nus- bis zum Pri­mar­arzt – etwa 3.750 Euro netto – ein Vier­tel davon aus einer „Zu­satz­be­schäf­ti­gung“.

Aber, die Zu­satz­gel­der wer­den nicht gleich­mä­ßig ver­teilt. Der Chef kriegt am meis­ten, der Tur­nus­arzt am we­nigs­ten.

Neh­men wir eine Ab­tei­lung mit 20 Ärz­ten. Wären die Gel­der nor­mal ver­teilt (was kei­ner weiß), wür­den dort etwa 250.000 Euro zu­sätz­lich und netto aus­be­zahlt. 60 Pro­zent be­hält der Pri­mar – macht ein mo­nat­li­ches Zu­satz­brot von 10.700 Euro. Das ist fast drei (!) mal mehr, als ihm sein ei­gent­li­cher Ar­beit­ge­ber be­zahlt! 36,5 Pro­zent wer­den an die 12 Fach- und As­sis­tenz­ärz­te aus­be­zahlt – als drei Pro­zent pro Nase (hier gibt es je nach Alter und Funk­ti­on er­heb­li­che Dif­fe­ren­zen): sind pro Monat 540 Euro netto und knapp 20 Pro­zent des Ein­kom­mens. Die ver­blei­ben­den 3,5 Pro­zent tei­len sich die sie­ben Tur­nus­ärz­te; er­gibt viel­leicht 100 Euro; die ma­chen sich ge­gen­über den 2.000 Euro Nor­mal­ein­kom­men (in­klu­si­ver Über­stun­den und Nacht­diens­te) rich­tig be­schei­den aus.

Der Chef be­zieht also in einem po­li­tisch do­mi­nier­ten Sys­tem, dass of­fi­zi­ell eine Zwei-Klas­sen-Me­di­zin weder sieht noch will, ana­log zum Bo­nus­sys­tem der Ban­ken­welt, ein „er­folgs­ab­hän­gi­ges“ Ein­kom­men. Warum? Ganz ein­fach, weil man ihm öf­fent­lich nicht mehr zah­len will! An­ders aus­ge­drückt, hat die Po­li­tik, nur um sich die vie­len Spi­tä­ler leis­ten zu kön­nen, über die letz­ten Jahr­zehn­te es zu­ge­las­sen, ja ge­för­dert, dass Pri­mar­ärz­te da­nach trach­ten, zu­sätz­li­che Gel­der zu lu­krie­ren – von denen ja auch die Spi­tä­ler etwa 250 Mil­lio­nen Euro er­hal­ten.

Und jetzt über­le­gen wir. Wird der Pri­mar an der Idee der „Ein-Klas­sen-Me­di­zin“ fest- und die Ge­set­ze ein­hal­ten und seine Ab­tei­lung so füh­ren, dass jeder „gleich“ be­han­delt wird? Wel­che Hilfe er­hält er dabei von der Po­li­tik – oder wird ein idea­lis­ti­scher, ge­set­zes­treu­er Pri­mar nicht eher von ihr ab­ge­straft?

Und wenn die Zwei-Klas­sen-Me­di­zin dann öf­fent­lich dis­ku­tiert wird, er­zählt uns die Po­li­tik ir­gend­et­was über Ge­set­ze und schimpft auf böse neo­li­be­ra­le Ver­si­che­run­gen und geld­gie­ri­ge Ärzte. Aber das wahr­lich Schlim­me daran ist, dass 80 Pro­zent der Be­völ­ke­rung von die­ser Schein­hei­lig­keit wis­sen und sich nicht dar­über auf­re­gen; denn: „So­lan­ge der Ös­ter­rei­cher noch Bier und Würs­tel hat, re­vol­tiert er nicht.“ (Beet­ho­ven)

Die­ser Ar­ti­kel wurde im März 2011 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.