Die Länder als Spitals-Monopolisten

Die Län­der be­stim­men nicht nur den Preis der Spi­tals­ver­sor­gung, son­dern auch, wer und was gut und böse ist – ei­gent­lich eine un­trag­ba­re Si­tua­ti­on, die aber nie­mand än­dern kann.

Herr M. ist ge­ra­de aus dem Spi­tal ent­las­sen wor­den und hat zum Ab­schied einen Fra­ge­bo­gen er­hal­ten. Er solle doch bitte aus­fül­len, wie zu­frie­den er war. Und weil er ers­tens, von sei­nen Schmer­zen be­freit, glück­lich ist und zwei­tens nie­man­den, den er viel­leicht noch ein­mal braucht, ver­är­gern will, wird der Fra­ge­bo­gen zur Lo­bes­hym­ne. Lus­tig, er wird spä­ter im Tag noch ein­mal be­fragt, am Te­le­fon und von einer deut­schen Stim­me, der er­zählt er dann schon Ge­naue­res – und an­de­res.

Aber das macht nichts, weil in dem Bun­des­land, in dem er be­han­delt wurde, oh­ne­hin nur der Fra­ge­bo­gen als Wahr­heit an­er­kannt wird. Und da sind die Er­geb­nis­se jedes Jahr be­ein­dru­ckend; Lob über Lob – ja so wünscht das die Po­li­tik; und er­hält es.

Dass das mög­lich ist, hängt mit der Mo­no­pol­macht der Län­der in der Spi­tals­ver­sor­gung zu­sam­men. Durch diese be­stimmt die Lan­des­po­li­tik, was gut und böse, was rich­tig und falsch ist und auch wo es Ver­än­de­run­gen oder Ver­bes­se­run­gen geben darf, und wie diese aus­zu­se­hen haben.

Die Macht des Mo­no­pols haben sich die Län­der selbst ge­ge­ben. Kaum je­mand weiß, dass Spi­tä­ler etwa 30 Pro­zent De­fi­zit ma­chen „müs­sen“, ein­fach des­we­gen, weil die Ho­no­ra­re für ihre Leis­tun­gen nicht kos­ten­de­ckend sind. Und so muss jedes Spi­tal zur Lan­des­po­li­tik bet­teln gehen, damit diese die De­fi­zi­te deckt – das er­höht die Macht. Die Idee, die Gel­der die­ser „De­fi­zit­de­ckung“ in die Ho­no­ra­re hin­ein­zu­rech­nen, wird seit Jah­ren ver­wei­gert. Das würde Trans­pa­renz und Ge­rech­tig­keit der Mit­tel­ver­tei­lung er­hö­hen, ist aber aus macht­po­li­ti­scher Sicht un­denk­bar. Und ne­ben­bei, das Geld, das die Län­der gnä­dig ver­tei­len, holen sie sich beim Bund, nicht bei der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung.

Aber es geht noch wei­ter. So be­treibt in Nie­der­ös­ter­reich die Lan­des­po­li­tik be­reits alle Spi­tä­ler und hat Durch­griff auch auf die kleins­ten Ent­schei­dun­gen – und nützt das auch. In­ter­ne Kri­ti­ker wer­den ein­fach ge­kün­digt und mit einer Art lan­des­wei­tem Be­rufs­ver­bot be­legt. An zwei­ter Stel­le liegt die Stei­er­mark, in der 84 Pro­zent der Spi­tals­bet­ten di­rekt dem Land un­ter­stellt sind – auch hier un­ter­bin­det die Po­li­tik jeg­li­che Ver­nunft und hat jene, die diese zu laut ein­ge­for­dert haben, ein­fach in die Wüste ge­schickt. Am Ende gibt es ge­ra­de ein­mal drei Bun­des­län­der, die we­ni­ger als 70 Pro­zent „Markt­an­teil“ haben. So wird Kon­kur­renz un­ter­bun­den und die ku­ra­ti­ve Kraft des Wett­be­werbs er­folg­reich ver­hin­dert. Und jeder, der in­ner­halb des Sys­tems steht, der wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge aus­schließ­lich aus den Büros der Lan­des­po­li­tik kom­men dür­fen.

Im Herbst wer­den die Bud­get-Graus­lich­kei­ten über uns kom­men. Steu­er­er­hö­hung wird es geben, so viel ist fix. Was die Aus­ga­ben­sei­te be­trifft, da herrscht Ide­en-Lee­re. Zwar wis­sen alle, dass in der Spi­tals­ver­sor­gung ein bis zwei Mil­li­ar­den Ef­fi­zi­enz­po­ten­ti­al liegt, aber wer kann Mo­no­po­lis­ten be­feh­len, ef­fi­zi­en­ter zu wer­den? Und dank der Era­di­ka­ti­on in­ter­ner Kri­ti­ker, fin­det man kaum je­man­den, der diese Po­ten­tia­le dar­stel­len könn­te. Also wird es mehr Geld geben um die Un­ver­nunft wei­ter wal­ten zu las­sen – Steu­er­geld.

Und weil es so ist, kann jedem, der in der Spi­tals­ver­sor­gung wei­ter ar­bei­ten will nur drin­gendst emp­foh­len wer­den, Süß­holz zu ras­peln, bis es weh tut, und nur ja keine Ver­bes­se­run­gen zu sehen oder es gar wagen, diese vor­zu­schla­gen. Denn es wird einer Re­vo­lu­ti­on be­dür­fen, um die Mo­no­po­lis­ten zu zer­schla­gen – doch die zeich­net sich nicht ab.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im April 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Ohne Krankheiten zum ewigen Leben

Täg­lich er­fah­ren wir, wie wir ge­sün­der leben kön­nen; das ist gut! Aber immer schwingt mit, dass, wenn Krank­hei­ten ver­hin­dert wer­den, ewi­ges Leben winkt; das ist Blöd­sinn!

Herr M. las un­längst, dass die Un­ter­su­chung eines im Blut zir­ku­lie­ren­den An­ti­kör­pers gegen be­stimm­te Pro­te­ine, die in der Pro­sta­ta zu fin­den sind (PSA-Test), die Über­le­bens­wahr­schein­lich­keit um 20 Pro­zent hebt. Herr M. ist Rau­cher, über­ge­wich­tig und 62 Jahre alt. Er geht nächs­tes Jahr in Pen­si­on, und wenn ein ein­fa­cher Test, der noch dazu gra­tis ist, sei­nen Tod gleich um ein Fünf­tel ver­hin­dern kann, dann ist das super. Au­ßer­dem weiß er ja, dass Pro­sta­ta­krebs ein sehr häu­fi­ger Krebs ist. Ir­gend­wo hat er ge­le­sen, dass jeder sechs­te Mann daran er­krankt. Das zu ver­hin­dern ist si­cher keine schlech­te Idee.

Er lässt den Test ma­chen.

Was er al­ler­dings nicht weiß, und ihm auch nie­mand so rich­tig er­klärt, ist, dass er das Ge­le­se­ne kaum rich­tig ver­stan­den hat. Denn so ein PSA-Test ver­län­gert nicht das Leben. Ganz und gar nicht. Die Über­le­bens­wahr­schein­lich­keit wird nicht um 20 Pro­zent er­höht, was pas­siert, ist, dass die Wahr­schein­lich­keit an Pro­sta­ta­krebs zu ster­ben um 20 Pro­zent sinkt. Auch wenn das ganz toll klingt, ist das für ihn ver­mut­lich nicht re­le­vant. Denn, von den 35.156 männ­li­chen Ein­woh­nern die 2008 ge­stor­ben sind, sind ge­ra­de ein­mal 1.187 (3,4 Pro­zent) an Pro­sta­ta-Krebs ge­stor­ben (un­ge­fähr so viele wie sich um­brin­gen). Hät­ten alle einen PSA-Test durch­füh­ren las­sen, dann wären viel­leicht von den 35.156 Ver­stor­be­nen statt 1.187 nur 1.000 an Pro­sta­ta-Krebs ge­stor­ben.

Das heißt aber nicht, dass die an­de­re 187 Män­ner län­ger ge­lebt hät­ten. Denn die Stu­di­en zur Ge­samt­über­le­bens­zeit zei­gen zwi­schen denen, die sich tes­ten las­sen und denen, die das nicht tun, kei­nen Un­ter­schied. Und um es klar aus­zu­drü­cken, für etwa 34.000 Män­ner wäre es je­den­falls un­er­heb­lich ge­we­sen, ob sie den Test ma­chen hät­ten las­sen oder nicht.

Am Ende ist der Tod durch Pro­sta­ta-Krebs un­be­deu­tend – auch wenn es für den ein­zel­nen, der daran stirbt, si­cher ein Drama ist. Sich ge­ne­rell vor ihm zu fürch­ten ist neu­ro­tisch. Und Herr M. wird wahr­schein­li­cher an den Fol­gen sei­nes Le­bens­wan­dels (Über­ge­wicht und Rau­chen) ster­ben, als an sei­ner Pro­sta­ta. Der Test wird sein Leben nicht ver­län­gern, we­nigs­tens nicht nach­weis­lich. Die Angst vor dem Krebs wird aber mit jedem Test (man macht ihn ja re­gel­mä­ßig) stei­gen und wenn das Er­geb­nis kei­nen Krebs nach­weist, ihn in einer nicht rea­len Si­cher­heit wie­gen.

Die Strei­te­rei­en, ob die­ser Test nun sinn­voll ist oder nicht, sind end- und gren­zen­los. Aber darum geht es ja gar nicht. Es geht darum, dass es mitt­ler­wei­le tief in un­se­rem Den­ken ent­hal­ten ist, dass, wenn wir nur alle Krank­hei­ten hei­len, uns ewi­ges Leben winkt. Ich will jetzt nicht zy­nisch klin­gen, aber trotz aller me­di­zi­ni­scher Kunst hat noch nie­mand über­lebt.

Na­tür­lich ist es leicht, von die­ser Stel­le aus zu be­haup­ten, „Fürch­tet euch nicht“, egal was euch ge­sagt wird. Aber es ist so. Jeden Tag er­zäh­len uns Ak­teu­re des Ge­sund­heits­sys­tems, wie krank wir sind und wie wir Hei­lung er­war­ten kön­nen. Und wir glau­ben es nur allzu gerne.

Es wird aber Zeit zu er­ken­nen, dass wir je­den­falls ster­ben müs­sen. Ver­hin­dern wir den Herz­in­farkt, wird uns der Krebs töten, ver­hin­dern wird den auch, dann wird an seine Stel­le viel­leicht de­men­ti­el­les Siech­tum tre­ten. Wie immer wir es dre­hen, wir sind sterb­lich. Ein Ge­sund­heits­sys­tem soll­te uns hel­fen, so­lang wie mög­lich ge­sund und glück­lich zu leben, aber uns ewig auf Erden wan­deln zu las­sen, das ist ab­surd. Daher soll­te diese Idee auch of­fi­zi­ell un­ter­sagt wer­den.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im April 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Ambulante Gesundheitsversorgung – Chaos pur

Das Re­gel-Cha­os in der am­bu­lan­ten Ver­sor­gung ist un­er­träg­lich und be­hin­dert eine ver­nünf­ti­ge Ent­wick­lung – am Ende zum Scha­den für die Be­völ­ke­rung.

Kaum je­mand, der, wenn er einen Arzt be­sucht, weiß, wel­ches Re­gel-Cha­os sich hin­ter die­sem Be­such ver­birgt. Ein Nor­mal­bür­ger geht ent­we­der zu sei­nem Kas­sen- oder Wahl­arzt, oder in die Spi­tals­am­bu­lanz oder aber in ein Am­bu­la­to­ri­um. Dass sich da­hin­ter un­ter­schied­lichs­te Ge­sund­heits­sys­te­me ver­ber­gen, bleibt ver­bor­gen.

Von der Pa­ti­en­ten­zahl her dürf­ten Kas­sen­ärz­te wohl die wich­tigs­ten sein. Ob das auch für ihre Ver­sor­gungs­wirk­sam­keit gilt, weiß man nicht. Am Ende wer­den dort über 110 Mil­lio­nen Arzt­be­su­che pro Jahr ge­zählt. Wo es Kas­sen­or­di­na­tio­nen gibt, legen Ärz­te­kam­mer und Kas­sen im Ver­hand­lungs­weg fest. Das Leis­tungs­spek­trum wird durch Ho­no­rar­ka­ta­lo­ge be­stimmt, von denen es 14 un­ter­schied­li­che gibt – fünf für die so­ge­nann­ten klei­nen Kas­sen und neun für die neun Ge­biets­kran­ken­kas­sen. Diese Ka­ta­lo­ge sind alles an­de­re als lo­gisch, und funk­tio­nie­ren nach allem, nur nicht nach dem „Glei­ches Geld für glei­che Leis­tung“- Prin­zip. Denn die Leis­tun­gen sind das Pro­dukt von 50 Jah­ren Ver­hand­lun­gen zwi­schen Dut­zen­den Kas­sen und fö­de­ra­len Ärz­te­kam­mern. Kein Mensch weiß mehr, was sich die Ver­hand­ler bei den Leis­tun­gen und den damit ver­bun­de­nen Ho­no­ra­ren ge­dacht haben.

Bei den Wahl­ärz­ten, von denen es mehr als Kas­sen­ärz­te gibt, sind diese Ka­ta­lo­ge weit­ge­hend egal, weil sie nach dem Kos­ten­er­stat­tungs­prin­zip funk­tio­nie­ren, also nicht mit den Kas­sen, son­dern mit den Pa­ti­en­ten ver­rech­nen, und ihre Ho­no­ra­re selbst fest­set­zen. Wo es Wahl­ärz­te gibt ist eben­falls un­ge­re­gelt. Das ein­zi­ge was Wahl­ärz­te mit Kas­sen­ärz­ten ver­bin­det ist die Tat­sa­che, dass beide keine Ärzte an­stel­len dür­fen.

In den Spi­tals­am­bu­lan­zen wie­der­um ar­bei­ten nur an­ge­stell­te Ärzte; wie viele ist aber un­ge­wiss. Wel­che Leis­tun­gen er­bracht wer­den ist eben­so un­be­kannt, wie die Menge der er­brach­ten Leis­tun­gen, nicht ein­mal das Pa­ti­en­ten-Zäh­len funk­tio­niert. Das Ein­zi­ge, was man weiß, ist, dass sie in einer Grau­zo­ne ar­bei­ten. Denn ei­gent­lich sind sie nur für am­bu­lan­te Pa­ti­en­ten zu­stän­dig, die eine Ver­sor­gung brau­chen, die es im nie­der­ge­las­se­nen Be­reich nicht gibt. Weil man aber weder da noch dort weiß, was es wirk­lich gibt, ma­chen Am­bu­lan­zen mitt­ler­wei­le alles.

Und schließ­lich mi­schen Am­bu­la­to­ri­en mit: Wo es wel­che geben und was dort ge­ar­bei­tet wer­den darf, ist Län­der­sa­che – die haben den Be­darf zu prü­fen. Was al­ler­dings die Be­zah­lung be­trifft, da sind meist die Kas­sen in der Pflicht. Und um es nicht zu ein­fach zu ma­chen: Die Ver­tre­tung der Am­bu­la­to­ri­en ist – ir­gend­wie art­fremd – die Wirt­schafts- und nicht die Ärz­te­kam­mer.

Und weil die Ver­wir­rung nicht groß genug scheint, wird es dem­nächst Ärz­te-Gmb­Hs nach dem Stö­ger-Mo­dell geben: ein Hy­brid aus Am­bu­la­to­ri­um und Or­di­na­ti­on. Es dür­fen nur Ärzte, die in der Ärz­te­kam­mer blei­ben, dabei sein, Ärzte dür­fen nicht an­ge­stellt wer­den und wo sie ent­ste­hen ist Län­der­sa­che, der Be­darf muss also von Amts­we­gen ge­prüft wer­den – außer die Ärzte, die seine GmbH grün­den wol­len, haben einen Kas­sen­ver­trag, dann ist es Sache der Kas­sen.

Alles sehr trans­pa­rent halt.

Dabei hat der EuGH Ös­ter­reich genau wegen die­ser In­trans­pa­renz ver­ur­teilt und auf­ge­for­dert, end­lich Re­geln, die für alle gleich gel­ten, ein­zu­füh­ren. Aber das käme einer Re­form gleich, die nie­mand will.

Prak­tisch be­deu­tet das aber Rechts­un­si­cher­heit. Ärzte wer­den ihre In­ves­ti­ti­ons­über­le­gun­gen dem­entspre­chend an­stel­len; mit der Folge, dass der am­bu­lan­te Be­reich wei­ter ge­schwächt wird – aber viel­leicht ist das ja das Ziel.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im April 2010 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.