Die maximale Medizin ist eine Strafe geworden, für die weit verbreitete Unwilligkeit, ethische Fragen zu stellen und ehrliche Antworten zu geben.
Maria K. wäre im Februar 80 geworden. Seit 15 Jahren hatte sie Zucker, der ganz gut eingestellt war. Nichtsdestotrotz waren ihre Gefäße schwer verkalkt. Seit einiger Zeit funktionierten daher ihre Nieren nicht mehr richtig, und auch das Herz wurde immer schwächer. Sie war alt und krank.
Anfang Oktober kam sie mit einem Herzanfall ins Spital. Dort hat man schnell erkannt, dass das Herz Hilfe braucht und eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt. Aber der Grad der Erkrankung war nur mehr durch eine Bypassoperation behandelbar. Die Ärzte begannen nachzudenken, was man tun kann. Weder die Nieren, noch ihr Herz gaben Hoffnung, dass sie eine so große Herzoperation überleben werde. Ihre Zuckerkrankheit gab zudem Anlass zur Sorge: Werden die Wunden überhaupt heilen?
So lag Frau K. vorerst auf der Station. Sie war ansprechbar und auch orientiert, wie wenn ihre Verwirrung, eine jener grausamen Nebenwirkungen der Arterienverkalkung, täglich größer wurde. Den Ärzten war klar, wenn man nichts tut, wird Frau K. bald an einem Herzinfarkt sterben, wenn man sie jedoch operiert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie entweder bei der OP oder auf der Intensivabteilung stirbt, deutlich größer, als dass sie überleben wird.
Rechtfertigt eine so kleine Hoffnung ein so großes Risiko? Darf man eigentlich untätig bleiben und dem Tod seinen Lauf lassen?
Sieben Tage nach ihrer Aufnahme entscheidet man sich für die OP. Man erklärt ihr, dass es eine schwere OP ist, vermeidet jedoch, sie so aufzuklären, dass sie die Alternativen – Sterben innerhalb der nächsten Tage, allerdings bei Bewusstsein und mit der Möglichkeit, ihre Dinge zu klären; oder OP, mit der sehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass sie danach nicht mehr aufwacht – wirklich versteht. Sie glaubt, dass die OP ihre einzige Option ist und ihr helfen wird. Daher verabschiedet sie sich nicht von ihren wenigen verbliebenen Freunden.
Während sich eine Säge durch ihr Brustbein frisst, entnimmt ein anderer Chirurg aus ihrem Bein eine Vene. 30 Zentimeter lang ist der Schnitt an ihrem Bein, 25 Zentimeter der in ihrem Brustkorb.
Nach der OP wird sie nicht richtig wach und muss beatmet bleiben. In den nächsten acht Wochen wird sie kein einziges Mal ohne Maschine atmen. Die Ärzte halten sie in Tiefschlaf und versuchen ein Organversagen zu verhindern. Die Wunden heilen nicht. Spezielle Pumpen werden angebracht, um den Heilungsprozess zu fördern. Doch nichts hilft, die Wunden bleiben offen, ihre Nieren versagen, ihre Lungen halten sie kaum am Leben. Mitte Dezember erweist sich die Natur gnädig und lässt ihr Herz stehen bleiben.
Frau K. stirbt, ohne sich auf den Tod vorbereitet zu haben. Mehr noch, man muss hoffen, dass sie von den letzten Wochen nichts mitgekriegt hat. Doch niemand weiß, was Patienten träumen, hören oder empfinden, wenn sie künstlich schlafen!
Ist die maximale Medizin wirklich der richtige Weg? Oder ist weniger nicht oft viel mehr?
Die Behandlung von Frau K. hat 120 Tausend Euro gekostet, Geld, das man woanders hätte einsetzen können. Wäre es denn woanders besser einsetzbar gewesen?
Die Politik erzählt, dass die maximale Therapie die beste ist und die Frage nach den Kosten obszön. Nur bei den Ärzten, kann man hoffen, dass sie zwischen dem Machbaren und dem für Patienten Wünschenswerten abwägen. Leider erhalten sie dabei keine Unterstützung. Eher im Gegenteil. Wir verklagen sie lieber, wenn uns was nicht passt.
Dieser Artikel wurde im Dezember 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.