Karriere nach dem Turnus

Skur­ril, wie man junge Ärzte nach ihrer Aus­bil­dung zum Haus­arzt auf die Zu­kunft vor­be­rei­ten will. Da ist wohl noch ei­ni­ges zu über­den­ken.

An was denkt man wohl, wenn man Os­teo­pa­thie, Neu­ral­the­ra­pie, an­ge­wand­te Ki­ne­sio­lo­gie, chi­ne­si­sche Dia­gnos­tik und Arz­neithe­ra­pie, an­thro­po­so­phi­sche Me­di­zin, or­tho­mo­le­ku­la­re Me­di­zin, mo­der­ne F. X. Mayr Me­di­zin oder Ho­mo­to­xi­ko­lo­gie hört?

Da fal­len mir als Pa­tho­lo­ge und ge­eich­ten Schul­me­di­zi­ner Dinge ein wie: Al­ter­na­ti­ve Me­di­zin für die, die es sich leis­ten kön­nen und wol­len, Fir­le­fanz nach dem Prin­zip “Hilft’s net, schad’t’s net“, voll­kom­men zu­recht keine Leis­tun­gen auf Kran­ken­schein etc.

Kei­nes­falls käme ich auf die Idee, darin Kar­rie­re­chan­cen für an­ge­hen­de Haus­ärz­te zu sehen, die sich nach einer Kran­ken­haus- und Ge­rä­te­me­di­zin-las­ti­gen Aus­bil­dung mit Fokus auf Blut ab­neh­men und In­fu­sio­nen an­hän­gen (man spricht auch gerne und ab­fäl­lig von Fach­ärz­ten für pe­ri­phe­re Ve­ne­punk­ti­on) auf ihre Zu­kunft vor­be­rei­ten sol­len. Und doch ist es so.

In einem Fol­der der Ärz­te­kam­mer für Wien mit dem Titel „Kar­rie­re nach dem Tur­nus“, wer­den Tur­nus­ärz­te ein­ge­la­den, sich auf die Zeit da­nach vor­zu­be­rei­ten. An 15 avi­sier­ten Aben­den sol­len kar­rie­re­för­dern­de „Zu­satz­qua­li­fi­ka­tio­nen“ vor­ge­stellt wer­den, die, neben we­ni­gen ver­nünf­ti­gen Vor­schlä­ge wie Ger­ia­trie und Pal­lia­tiv­me­di­zin (dafür ist nur ein Abend re­ser­viert), mit dem Bild des Haus­arz­tes aber auch gar nichts zu tun haben.

Keine Rede von z.B. „Ko­or­di­na­ti­on zwi­schen Leis­tungs­er­brin­gern ver­schie­de­ner Ebe­nen für chro­nisch Kran­ke (Fach­ärz­te, sta­tio­nä­rer Be­reich, Apo­the­ken, so­zia­le und me­di­zi­ni­sche Diens­te)“ oder „Sys­te­ma­ti­sche Pri­mär- und Se­kun­där- und Ter­tiärprä­ven­ti­on“ oder „Struk­tu­rier­tes Ma­nage­ment der Pa­ti­en­ten­be­treu­ung unter Kos­ten-Nut­zen­über­le­gun­gen (prä- und post­sta­tio­nä­res Ma­nage­ment, Vor­un­ter­su­chung und Vor­be­rei­tung für ge­plan­te Ein­grif­fe,..)“ oder „Durch­füh­rung und Ko­or­di­na­ti­on der pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­schen Be­treu­ung in häus­li­cher Um­ge­bung und in Pfle­ge­hei­men in Ko­ope­ra­ti­on mit an­de­ren Be­rufs­grup­pen“ oder „Be­treu­ung und Ma­nage­ment von Mehr­facher­krank­ten“ oder „Pro­ble­mer­ken­nung und In­ter­ven­ti­on im So­zi­al­be­reich“ oder schlicht die „Haus­kran­ken­be­hand­lung“ – alles The­men, die nicht nur nach Mei­nung der Ös­ter­rei­chi­schen Ge­sell­schaft für All­ge­mein­me­di­zin zur Rolle der Haus­ärz­te ge­hö­ren – und deren Be­herr­schung kar­rie­re­för­der­lich sein soll­te!

Für diese Fer­tig­kei­ten gibt es aber keine Ärz­te­kam­mer-Di­plo­me, aber auch keine Aus­bil­dung im Tur­nus. Diese Qua­li­fi­ka­tio­nen müs­sen wohl an­ge­bo­ren sein, struk­tu­riert er­wer­ben kann man sie nicht.

An­de­rer­seits ist es ver­ständ­lich, dass die Ärz­te­kam­mer dafür keine Aus­bil­dungs­schie­ne eta­bliert. Von den etwa 1.000 Ärz­ten, die jähr­lich fer­tig zum Haus­arzt aus­ge­bil­det wer­den, haben viel­leicht 200 Chan­cen auf einen Kas­sen­ver­trag; wenn sie sich so einen über­haupt selbst zu­trau­en (was ich nicht würde mit der jet­zi­gen Aus­bil­dung). Ei­ni­ge hun­dert wer­den das Glück haben, eine Fach­arzt­aus­bil­dungs­stel­le zu er­gat­tern und damit viel­leicht auch die Chan­ce in einer si­che­ren An­stel­lung zu blei­ben oder we­nigs­tens noch eine Gal­gen­frist raus­zu­schla­gen.

Der Rest – meh­re­re hun­dert pro Jahr – wer­den in den frei­en Markt ge­spuckt. Und dort, im kas­sen­frei­en Raum, kann man als „Wahl-Haus­arzt“ nur über­le­ben, wenn man sich auf Ein­nah­men kon­zen­triert, die nichts mit Schul- und Kas­sen­me­di­zin zu tun haben. Gleich­zei­tig, als nicht un­er­wünsch­ter Ne­ben­ef­fekt, wer­den sich so „zu­satz­qua­li­fi­zier­ten“ Ärzte auch nicht um den Kas­sen­ku­chen, der oh­ne­hin schon für die eta­blier­ten Kas­sen­ärz­te kaum mehr reicht, an­stel­len.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Sep­tem­ber 2009 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Sechs Stunden Wartezimmer

Ärz­te­man­gel, zu wenig Geld, Neo­li­be­ra­le – alles ist Schuld am fort­schrei­ten­den Ver­sa­gen des Ge­sund­heits­sys­tems, aber nicht Struk­tur und Po­li­tik! Oder?

Es ist 10:30 Uhr, und er sitzt seit zwei­ein­halb Stun­den im War­te­zim­mer. In der Früh ist er auf­ge­wacht und hat, zu dem seit einer Woche be­ste­hen­den Hus­ten, 39 Grad Fie­ber be­kom­men.

Als er end­lich dran­kommt, hat der Arzt vier Mi­nu­ten Zeit. Die­ser hört ihn ab, ver­schreibt ihm An­ti­bio­ti­ka und über­weist ihn zur Si­cher­heit an den Ra­dio­lo­gen.

Adres­se samt La­ge­plan des nächs­ten Rönt­gen­in­sti­tuts – ei­gent­lich ein net­ter Ser­vice – hat ihm die Sprech­stun­den­hil­fe mit Re­zept und Über­wei­sung in die Hand ge­drückt.

Beim Ra­dio­lo­gen kommt er über­ra­schend schnell dran. Nur zwan­zig Mi­nu­ten nach sei­nem Ein­tref­fen ist das Rönt­gen fer­tig. Al­ler­dings war­tet er dann ein­ein­halb Stun­den auf den Be­fund. Es ist jetzt 14:30 und er ruft beim Haus­arzt an, ob er noch vor­bei kom­men könne. „Nein, heute nicht mehr. Kom­men Sie gleich mor­gen Früh.“

Um 8:00 ist er dort. Als er dran­kommt, ist es 9:45 Uhr. Der Arzt schaut auf das Rönt­gen und sagt, dass die An­ti­bio­ti­ka schon gut sind, al­ler­dings ge­fal­le ihm das Bild nicht rich­tig und über­weist ihn ohne wei­te­ren Kom­men­tar an einen Lun­gen­fach­arzt. Um 9:50 ver­lässt er die Pra­xis mit einer neuen Über­wei­sung.

Zu­hau­se an­ge­kom­men, ver­sucht er einen Ter­min zu krie­gen. Die bei­den ers­ten Lun­gen­fach­ärz­te, die er an­ruft, tei­len mit, dass sie keine Kas­sen­pa­ti­en­ten mehr neh­men kön­nen. Erst beim drit­ten er­hält er einen Ter­min – in drei Wo­chen! Das nächs­te Mal, so be­schließt er, fährt er gleich in Kran­ken­haus; da muss man we­ni­ger war­ten, nicht her­um­fah­ren und hat seine Dia­gno­se si­cher in­ner­halb von einem Tag!

Was ist denn da los? Wenn man als Pa­ti­ent nach zweit Tagen und 6 Stun­den War­te­zim­mer noch immer seine Dia­gno­se nicht hat, je­den­falls ein Or­ga­ni­sa­ti­ons­pro­blem. Aber es könn­te auch ein Ärz­te­man­gel vor­lie­gen, wenn man die War­te­zei­ten an­sieht. Doch ist das so?

Be­trach­tet man die of­fi­zi­el­len Zah­len der OECD, dann haben wir mit 3,7 Ärzte (ohne Zahn­ärz­te) pro 1.000 Ein­woh­ner ei­gent­lich gar nicht so we­ni­ge Ärzte. Genau ge­nom­men sogar viele, da die meis­ten west­eu­ro­päi­schen Län­der we­ni­ger haben.

Von den etwa 29.000 fer­tig aus­ge­bil­de­ten Ärz­ten ar­bei­ten 12.000 im Kran­ken­haus. 17.000 sind nie­der­ge­las­se­ne Ärzte. Von letz­te­ren je­doch haben nur knapp 8.000 einen Kas­sen­ver­trag, der Rest sind meist Wahl­ärz­te. Neh­men wir an, 20 Pro­zent der Be­völ­ke­rung kann und will sich den Luxus eines Wahl­arz­tes leis­ten und rech­nen dann auf die Rest­be­völ­ke­rung nur Kas­sen- und Spi­tals­ärz­te. Plötz­lich haben wir nur mehr 3 Ärzte pro 1.000 Ein­woh­ner. Mit die­ser Zahl, lan­den wir auf den hin­ters­ten Rän­gen, knapp vor Groß­bri­tan­ni­en und Finn­land.

Und schon wird die Sache klar. Uns fehlt es nicht an Ärz­ten, son­dern an Kas­sen­ärz­ten. Noch kla­rer wird es, wenn wir be­mer­ken, dass die Zahl der Kas­sen­stel­len we­nigs­tens seit 1995 (so­weit rei­chen meine Zah­len zu­rück) un­ver­än­dert ist, gleich­zei­tig aber die de­mo­gra­phi­sche Ver­än­de­rung – Stich­wort Al­te­rung – immer mehr Ärzte er­for­dern würde.

Es ist also kein Wun­der, dass die Am­bu­lan­zen immer vol­ler wer­den und die Pa­ti­en­ten immer schwie­ri­ger einen Kas­sen­arzt­ter­min, ins­be­son­de­re beim Fach­arzt er­gat­tern kön­nen, ja sogar von Kas­sen­ärz­ten ab­ge­wie­sen wer­den, auch wenn letz­te­res mei­ner Mei­nung nach nicht kor­rekt ist.

Und statt sich mit sol­chen Fra­gen zu be­schäf­ti­gen, was er­le­ben wir tag­täg­lich? Die Fi­nan­zie­rung der Kas­sen muss ge­si­chert wer­den! Nein, Geld ist nicht das Pro­blem, es sind un­se­re über­kom­me­nen Struk­tu­ren – die al­ler­dings, will kei­ner an­grei­fen.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Sep­tem­ber 2009 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Der nächste Sündenfall

Jetzt haben wir (k)ein neues Ka­pi­tel in der Ge­sund­heits­re­form, wie­der Einah­men­sei­ti­ges und wie­der ein Stück wei­ter weg von De­mo­kra­tie und Kos­ten­wahr­heit.

Dass die Kas­sen neues Geld krie­gen, darf nicht ver­wun­dern. Stand­haf­te Po­li­ti­ker hat es ver­mut­lich nie ge­ge­ben – sie ent­stam­men einer Sa­gen­welt, wie die Ge­sund­heits­re­form. Und folgt man den Aus­sa­gen des Ge­sund­heits­mi­nis­ters in Alp­bach, dann ist die Re­form dort auch gut auf­ge­ho­ben. Das beste Sys­tem braucht keine, schon gar keine Struk­tur­re­form, nur eine Wei­ter­ent­wick­lung. Dass über eine Kas­sen­re­form nach­weis­lich seit den frü­hen 1960er Jah­ren dis­ku­tiert wird, dürf­te an der für Ös­ter­reich ty­pi­schen Re­form­freu­dig­keit lie­gen. Re­for­men um der Re­for­men wil­len, das macht das Land aus!?

So ist auch das Kas­sen­pa­ket zu sehen. Die krie­gen fri­sches Geld. Der Steu­er­an­teil an deren Ein­nah­men wird über 25 Pro­zent (weit über 3 Mrd. Euro jähr­lich) be­tra­gen – aber ohne Re­form, also mehr Mit­spra­che­recht des Steu­er­zah­lers. Ganz im Ge­gen­teil, de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­te Volks­ver­tre­ter haben we­ni­ger Ein­fluss denn je! Kas­sen wer­den künf­tig so agie­ren, wie sie es sich mit der Ärz­te­kam­mer aus­ma­chen. Die an­de­ren sol­len schwei­gen und zah­len.

Klar wird das neue Geld öf­fent­lich­keits­wirk­sam an Be­din­gun­gen ge­knüpft – man will zei­gen, dass die­ses Land noch von einer Re­gie­rung re­giert wird. So müs­sen die Kas­sen be­le­gen, dass sie die omi­nö­sen 1,7 Mrd. Euro Ein­spa­run­gen wirk­lich rea­li­sie­ren. Ein­mal ab­ge­se­hen, dass die da­hin­ter­ste­hen­den Milch­mäd­chen­rech­nun­gen nicht nach­voll­zieh­bar sind, er­in­nert mich das an jene Auf­la­gen, die die Län­der 2005 er­hal­ten haben. Diese muss­ten ge­setz­lich in­ner­halb von vier Jah­ren 300 Mil­lio­nen Euro (we­ni­ger als 1% p.a.) in den Spi­tä­lern ein­spa­ren. Als dann 2008 der neue Fi­nanz­aus­gleich vor­ge­zo­gen wurde, und der Bund den Nach­weis ver­lang­te – der na­tür­lich nicht er­bracht wer­den konn­te – hat man ein­fach ins Ge­setzt ge­schrie­ben, dass die vor­ge­schrie­be­nen Ein­spa­run­gen als er­bracht be­trach­tet wer­den – so leicht ist das, wenn man das Ge­walt­mo­no­pol hat!

Bleibt der Pro­sa­teil des Kas­sen­sa­nie­rungs­pa­piers. Da steht viel drin­nen – lau­ter Ab­sichts­er­klä­run­gen. Und auch dafür gibt es his­to­ri­sche Bei­spie­le. Wuss­ten Sie z.B., dass be­reits 1996 be­schlos­sen wurde, einen Stel­len­plan für alle nie­der­ge­las­se­nen Ärzte ver­bind­lich ein­zu­füh­ren? Jetzt steht das wie­der drin­nen, und wird als Ver­hand­lungs­er­folg ver­kauft. 2005 wur­den zum Er­halt der Qua­li­tät in Spi­tä­lern Min­dest­fre­quen­zen ge­setz­lich fi­xiert! Kleinst­kran­ken­häu­ser wie Bad Aus­see ste­hen aber fes­ter denn je. Pa­pie­re­ne Re­for­men wur­den noch nie um­ge­setzt!

Kom­men wir zu den Län­dern. Dass deren Spar­wil­le mehr als un­ter­ent­wi­ckelt ist, ist be­kannt. Was wer­den diese nach die­ser Kas­sen-Ei­ni­gung den­ken!? Das die Län­der plei­te sind, wird of­fen­sicht­lich. Dass so gut wie jedes Bun­des­land – trotz an­ders­lau­ten­der Mel­dun­gen – die Bau- und In­ves­ti­ti­ons­pro­gram­me nach hin­ten streckt ist nur ein klei­nes Zei­chen. Dass aber be­reits in zwei Län­dern die Lan­des­kran­ken­häu­ser trotz Lan­des­haf­tung keine Bank­kre­di­te mehr krie­gen, wäre an­ders­wo ein Alarm­si­gnal! Oder doch nicht?

Wenn der Fi­nanz­mi­nis­ter schon Kas­sen nicht in den Kon­kurs schickt, was wird er erst un­ter­neh­men, um die Län­der zu ret­ten? Wenn er jetzt so ein­fach pro Jahr eine Vier­tel Mil­li­ar­de Euro zu­sätz­lich aus un­se­ren Ta­schen zieht, dann wer­den die Län­der für ihre Kran­ken­häu­ser si­cher eine halbe, oder gleich eine ganze Mil­li­ar­de mehr krie­gen!?

Und dann schaue ich in die Augen mei­nes zwei­jäh­ri­gen Soh­nes und frage mich: „Wie willst du das alles be­zah­len – oder willst du das über­haupt be­zah­len?“

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Sep­tem­ber 2009 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Umgehungsmaßnahmen und „Betrügereien“

Wären Ärzte nicht be­reit, das Sys­tem zu um­ge­hen, um ihre Pa­ti­en­ten ver­sor­gen zu kön­nen, würde die Ver­sor­gung längst nicht mehr funk­tio­nie­ren.

Frau M. ist 75, Witwe, ihre Kin­der sind von Wien weg­ge­zo­gen, ihre Freun­de größ­ten­teils unter der Erde. Frau M geht es so ei­gent­lich gut, aber na­tür­lich ist sie mit 75 nicht mehr ganz ge­sund. Sie geht, teils weil nötig, größ­ten­teils je­doch weil sie An­spra­che er­hält, ein bis zwei Mal pro Woche zu ihrem Haus­arzt Dr. H. Der ist noch be­seelt von sei­nem Beruf und ge­hört zu denen, die ihre „seel­sor­ge­ri­sche“ Funk­ti­on wahr­neh­men. Er emp­fängt Frau M. wirk­lich fast jedes Mal, um sie zu un­ter­su­chen. Klar weiß er, dass er nichts fin­den wird, aber die „the­ra­peu­ti­sche Un­ter­su­chung“ ist halt was, was zu sei­nem Beruf ge­hört.

Eine sol­che „the­ra­peu­ti­sche Un­ter­su­chung“ nimmt, mit Do­ku­men­ta­ti­on in etwa 10 Mi­nu­ten sei­ner Zeit in An­spruch. Da er Frau M. pro Quar­tal etwa 14 Mal sieht, be­deu­tet das etwa 140 Mi­nu­ten sei­ner Ar­beits­zeit. Von der Kassa er­hält er pro Quar­tal eine Pau­scha­le inkl. Haus­arzt­zu­schlag von 29,50 EURO. Sagen wir, dass ein Drit­tel davon in die Auf­recht­er­hal­tung der In­fra­struk­tur (Miete, Per­so­nal, Hei­zung etc) flie­ßen, dann bleibt für seine Zeit ein Stun­den­lohn von 8,60 EURO. Würde man das jetzt auf 14 Ge­häl­ter und unter An­rech­nung der Ur­laubs­zeit um­rech­nen, sind das heiße 6,20 pro Stun­de – brut­to!

Davon eine Fa­mi­lie er­näh­ren geht nicht. Also was tut Dr. H.? Ei­ner­seits könn­te er, wie viele sei­ner Kol­le­gen, Frau M. so­fort wei­ter­über­wei­sen – am bes­ten in die Spi­tals­am­bu­lanz; was rech­tens wäre, aber nicht pa­ti­en­ten­ori­en­tiert (und für uns sehr teuer). An­de­rer­seits könn­te er bei jedem oder jedem zwei­ten Be­such ein EKG schrei­ben. Pro EKG kriegt er 10 EURO und das bes­sert sei­nen Stun­den­lohn auf. Rech­tens ist das nicht, weil er nur Leis­tun­gen er­brin­gen darf, die das Maß des Not­wen­di­gen nicht über­schrei­ten; und sooft ein EKG zu schrei­ben, ist de­fi­ni­tiv nicht nötig. Trotz­dem hat Dr. H. sich dafür ent­schie­den. Jetzt hat Frau M. eines der best­do­ku­men­tier­ten ge­sun­den Her­zen, und Dr. H. fühlt sich wohl, ge­hol­fen zu haben, ohne dass seine Fa­mi­lie ver­hun­gern muss – dass er damit das Sys­tem „be­trügt“, ist ihm, sei­ner Pa­ti­en­tin und wohl auch den meis­ten Ent­schei­dungs­trä­gern in der Kasse egal. Es weiß da wie dort oh­ne­hin jeder, dass die Ver­sor­gung zu­sam­men­bre­chen muss, wenn alle Haus­ärz­te Dienst nach Vor­schrift mach­ten.

Aber auch im Spi­tal wird das Sys­tem un­ter­gra­ben. Hier­zu­lan­de lie­gen wir 40 Pro­zent häu­fi­ger mit Pneu­mo­nie und gleich 300 Pro­zent öfter mit chro­ni­schem Herz­ver­sa­gen im Kran­ken­haus als die Deut­schen. Klar könn­ten wir glau­ben, dass wir viel krän­ker sind und des­we­gen häu­fi­ger ins Spi­tal müs­sen – recht­lich darf dort näm­lich nur lie­gen, wer aus me­di­zi­ni­schen Grün­den einer sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung be­darf. Real ist das na­tür­lich an­ders. Wenn heute ein Pa­ti­ent ins Spi­tal kommt, und der Arzt sich nicht si­cher ist, ob die am­bu­lan­te Ver­sor­gung, sei sie pfle­ge­risch oder me­di­zi­nisch, ga­ran­tiert ist, dann nimmt er den Pa­ti­en­ten halt mit ir­gend­ei­ner Dia­gno­se auf – Ge­setz hin, Ge­setz her.

Unser Sys­tem ist schlecht. Keine Rede davon, dass es die rea­len Be­dürf­nis­se der Ver­sor­gung un­ter­stützt, im Ge­gen­teil wird es täg­lich hin­der­li­cher. Gott sei dank, lebt die Ver­sor­gung von Men­schen mit Rück­grad, denen Sys­tem­vor­schrif­ten wurscht sind, wenn sie Pa­ti­en­ten hel­fen müs­sen. Scha­de al­ler­dings, dass sie dabei immer „kri­mi­nel­ler“ wer­den. Und das nur, weil die Sys­tem­ver­ant­wort­li­chen an Macht­er­halt in­ter­es­siert sind, und die ei­gent­li­che Ver­sor­gung längst aus dem Blick ver­lo­ren haben.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Sep­tem­ber 2009 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.

Machtmissbrauch im Gesundheitssystem

Der Kampf, wer jetzt die Hand sein darf, die alles fi­nan­ziert, ist aus­ge­bro­chen – um in die Or­ga­ni­sa­ti­on ein­zu­grei­fen und seine Macht aus­zu­deh­nen!

Chro­nisch krank sind sie, die bei­den Bur­schen, die letzt­hin in einer ORF-Sen­dung zu sehen waren, und ein Pa­ra­de­bei­spiel für die Sys­tem­feh­ler. Die bei­den brau­chen, damit die Fol­gen ihrer ge­ne­ti­schen Krank­heit das Leben nicht in Un­er­träg­lich­keit ver­wan­deln, re­gel­mä­ßig Phy­sio­the­ra­pie. Doch wer be­zahlt diese? Klar ist, beide sind Pfle­ge­fäl­le und es be­steht, wie bei allen chro­ni­schen Krank­hei­ten, keine Chan­ce auf Hei­lung, son­dern nur auf Lin­de­rung. Und weil das so ist, leben sie zwi­schen den Wel­ten.

Wenn sie zu­hau­se wund­lie­gen oder wegen feh­len­der Be­we­gung Lun­gen­ent­zün­dun­gen krie­gen, ja, dann er­hal­ten sie ihre (dann viel teu­re­ren) The­ra­pi­en von der Kran­ken­kas­se. Durch re­gel­mä­ßi­ge Phy­sio­the­ra­pie Wund­lie­gen und Pneu­mo­nie zu ver­mei­den, das ist nicht Sache der Kas­sen. Zwar müs­sen diese The­ra­pi­en be­zah­len, wenn eine Ver­schlech­te­rung einer Krank­heit ver­mie­den wer­den kann, aber wie ist das bei un­heil­ba­ren Krank­hei­ten? In die­sem Fall kommt das Ar­gu­ment, dass die Län­der zah­len müs­sen – weil es ja Pfle­ge­fäl­le sind. Län­der al­ler­dings sehen ihre Auf­ga­be darin, Pfle­ge­hei­me zu fi­nan­zie­ren. Kos­ten für Phy­sio­the­ra­pie zu über­neh­men, um eine Ein­wei­sung in ein Heim zu ver­mei­den, also prä­ven­tiv tätig zu wer­den, das steht nicht auf deren Auf­ga­ben­lis­te – dafür ist wer an­de­rer zu­stän­dig, oder?

Es ist ein zy­ni­sches Spiel, das hin­ter all dem steht. Es ist der Ver­such, mög­lichst dem an­de­ren Kos­ten zu über­las­sen. Das geht nicht nur bei den Wel­ten Pfle­ge-Kran­ken­ver­sor­gung so, auch bei der Prä­ven­ti­on, der Re­ha­bi­li­ta­ti­on und der Pal­lia­tiv­ver­sor­gung ist es das glei­che – schlicht über­all dort, wo die Fi­nan­zie­rung je­weils je­mand an­de­rem ge­hört. Und am Ende ist das alles nicht nur sau­teu­er, son­dern vor allem un­mensch­lich.

Des­we­gen, und wegen nichts an­de­rem, braucht man die Fi­nan­zie­rung aus einer Hand. Das Spiel der be­triebs­wirt­schaft­li­chen Op­ti­mie­rung der ein­zel­nen Fi­nan­ziers, die noch dazu al­le­samt Pflicht-In­sti­tu­tio­nen sind – nie­mand darf aus die­sem Spiel aus­stei­gen und dank Selbst­ver­wal­tung in vie­len Fäl­len nicht ein­mal die Ent­schei­dungs­trä­ger ab­wäh­len – auf dem Rü­cken der Pa­ti­en­ten und zu Las­ten der Steu­er- und Bei­trags­zah­ler muss be­en­det wer­den.

Aber, aus der Fi­nan­zie­rung aus einer Hand eine ope­ra­ti­ve Auf­ga­be ab­zu­lei­ten, das ist skur­ril. Doch of­fen­bar ver­ste­hen das man­che so. Da wird ernst­haft dar­über nach­ge­dacht, dass die Um­stel­lung auf so eine Fi­nan­zie­rung dazu füh­ren muss, mit zen­tra­len Büros Kran­ken­häu­ser, Or­di­na­tio­nen etc. zu füh­ren.

Das ist aber nicht der Sinn der Fi­nan­zie­rung aus einer Hand. Ganz im Ge­gen­teil. Um um­setz­bar zu sein, muss die Or­ga­ni­sa­ti­on so de­zen­tral wie mög­lich sein. Und dort soll eine de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­te Hand für die Be­völ­ke­rung in über­schau­ba­ren Ver­sor­gungs­ge­bie­ten alle re­gio­nal be­nö­tig­ten prä­ven­ti­ven, dia­gnos­ti­schen, the­ra­peu­ti­schen, re­ha­bi­li­ta­ti­ven, pfle­gen­den oder pal­lia­ti­ven Dienst­leis­tun­gen, Ak­ti­vi­tä­ten oder Be­ra­tun­gen, die sich mit Krank­hei­ten, Sym­pto­men oder Ver­hal­ten­stö­run­gen, die ein In­di­vi­du­um auf­weist, be­fas­sen, ein­kau­fen – von An­bie­tern, die im Wett­be­werb ste­hen!

Daher sei klar fest­ge­hal­ten: Die Fi­nan­zie­rung aus einer Hand ist kein Ga­rant, aber lie­fert gute Vor­aus­set­zun­gen, eine in­te­grier­te Ver­sor­gung auf­zu­bau­en in der Pa­ti­en­ten zur rich­ti­gen Zeit an der rich­ti­gen Stel­le mit der rich­ti­gen Leis­tung ver­sorgt wer­den. Sie ist kein auch nur ir­gend­wie ge­ar­te­tes Ar­gu­ment zen­tra­lis­ti­scher Macht­ge­lüs­te.

Die­ser Ar­ti­kel wurde im Sep­tem­ber 2009 in ähn­li­cher Form in der Wie­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht.