Vom Rest Österreichs weitgehend unbemerkt, versucht man in der Steiermark, eine Chirurgiereform durchzuziehen, die beispielhaft sein könnte.
Die schlechte Auslastung der kleinen Chirurgien (die meisten davon sind kaum zur Hälfte ausgelastet, obwohl man mittlerweile jeden noch so kleinen Eingriff, der sonst überall ambulant durchgeführt wird, stationär aufnimmt) und die Befürchtung, dass sowohl die Ergebnis- als auch die Aus- und Fortbildungsqualität nicht mehr dem Stand des Wissens entspricht, hat die Steirer dazu bewogen, sehr kleine Chirurgien aus der stationären Versorgung zu nehmen. Was jedenfalls vorort bleiben soll, ist eine ambulante chirurgische Versorgung durch in einem nächstgelegenen größeren Spital angestellte Ärzte. Vom Versorgungsstandpunkt aus ist so ein abgestuftes Modell goldrichtig – aber für manche Politiker offenbar ein Armageddon.
Eines der betroffenen Spitäler steht in Bad Aussee, dessen Chirurgie seit Jahrzehnten als Schließungskandidat diskutiert wird. Das Spital liegt 27 Kilometer und eine Landesgrenzen von Bad Ischl entfernt und ist daher eigentlich nicht als Randlage zu betrachten – außer, man macht die Landesgrenze „dicht“, dann ist das nächste Spital 55 Kilometer entfernt; und für österreichische Verhältnisse – wohlgemerkt nur hier zulande – ist die Entfernung dann „extrem“.
Beeindruckend der Stil der Diskussion: Die Chirurgie Bad Aussee ist DAS Herzensanliegen der Bevölkerung, sie stellt die Seele der Region dar. Atemberaubend! Es ist ja nicht so, dass man den Grundlsee trockenlegen oder die Wälder zubetonieren will. Dass man in so einem Fall davon sprechen könnte, man reißt der Region das Herz und die Seele heraus, wäre verständlich; aber die Chirurgie?
Um ein bisschen mehr Sachlichkeit und weniger Polemik in die Diskussion zu bringen, hat die Landesregierung eine Enquete veranstaltet. Dazu wurden Experten geladen, die ihre Meinungen abgaben. Aus wissenschaftlicher Sicht war nichts Neues zu hören. Mindestfallzahlen – deren Nicht-Erreichung eines der wichtigsten Argumente für die Schließung ist – seien zwar kein Garant für gute Qualität, aber es gibt doch deutliche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Menge und Qualität. Jedenfalls muss man Prozessqualität mitberücksichtigen. Und der deutsche Experte stürmte vor und sagte, dass, seit Ergebnisqualitätsparameter (Komplikationen und Sterblichkeitsraten) pro Spital publiziert werden, ein Qualitätssprung gemacht worden ist, der die Mengen-Relationen stark verwässert hat. Auch kleine Spitäler können gute Qualität liefern.
Gut, so kleine Spitäler wie Bad Aussee ist (74 Betten!) sind in Deutschland eine Seltenheit. Aber man darf es glauben. Größe alleine ist nicht ausschlaggebend, öffentliche Ergebnisqualitätsparameter schon. Aber nachdem in Österreich kaum Prozessdefinitionen bestehen und man das Wort Ergebnisqualität im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung nicht einmal denken darf, bleibt der Politik halt nur, sich auf Strukturqualität und damit auch auf Mindestfallzahlen zu stützen – leider!
Wie dem auch sei, die Reaktion der Politik auf diese Experten war schon merkwürdig. Jeder hat nur das gehört, was er hören wollte. Besonders beeindruckend die ÖVP, die sich in einer brachialoppositionellen Rolle gut gefallen hat. Sachlich war da nichts mehr.
Es gilt zu hoffen, dass auch Österreich beginnt, Ergebnisqualitätsparameter öffentlich zugänglich zu machen, statt sich in peinlicher Parteipolitik zu ergehen und die Stimmungslage der Bevölkerung so dermaßen zu missbrauchen, um Angst zu verbreiten.
Dieser Artikel wurde im Mai 2009 in ähnlicher Form in der Wiener Zeitung veröffentlicht.