Beginnen wir mit Überlegungen zum Einzugsgebiet. Das ergibt sich durch schlichte Division und beträgt daher zwischen 8.000 und 10.000 Einwohnern.
Einzugsgebiete in Einwohner anzugeben ist eigentlich keine moderne Herangehensweise, aber es ist aktuell die einzige, die wir haben. In Ländern mit gutem Primary Health Care, gibt es Einschreibeverfahren und Listen. Hier wird die Listengröße pro Vollzeit-Hausarzt vorgegeben – und zwar i.d.R. als Maximalwert. Wir haben keine Listen, daher eben Einzugsgebiete mit den Maßzahlen Einwohner und seit 2024 (ÖSG_2023_-_Textband,_Stand_15.12.2023; 2.2 Planungsgrundlagen und Richtwerte; S 36 ) auch Erreichbarkeit; erstere muss 2.000 überschreiten zweitere soll 10 Minuten im Straßen-Individualverkehr unterschreiten,.
Eingehalten werde diese „Empfehlungen“ eher nicht, wie die Verteilung zeigt. Im Durchschnitt gibt es pro 2.250 EW einen Kassen-AM, die Schwankung reicht von 1.700 im Burgenland zu 2.700 in Wien und regional sogar von 1.600 bis 3.000 EW. All das kann man aus den verschiedenen ÖSG-Tabellen (mühsam) ausrechnen.
Nun, bezogen auf die PVE-Aussage ist es also nicht klar, wieviele Hausärzte hier pro PVE angesetzt werden. Den Vorgaben entsprechend, dürften nicht mehr als 4 bis 5, dem Durchschnitt entsprechend 3,6 bis 4,4 Stellen dort bestehen. Das ist sehr verwunderlich. Denn, bis dato galt, dass sich mindestens 3 Kassen-Hausärzte finden müssen, um ein PVE zu gründen. Weil das nicht so funktioniert hat, dürfen hinkünftig auch 2 ein PVE gründen. Dass es also in den angedachten plötzlich 4+ geben soll, ist jedenfalls nicht einfach nachzuvollziehen.
Wieviele Ärzte aktuell in den bestehenden PVEs tätig sind, weiß vermutlich niemand, weil über Vertretungsregeln und Turnusärzte die Zahl der Vollzeithausärzte pro Einrichtung vermutlich stark verzerrt ist, und genaueres niemand wissen will.
Wichtiger als die Listengröße, oder das theoretische Einzugsgebiet ist in der Literatur jedoch die Panelgröße. Das ist im Grunde die Zahl der behandelten Individuen, die aus dem Einzugsgebiet oder der Liste entstanden sind – unabhängig der Zahl der Kontakte. Die Panelgröße zeigt also, wieviel Patienten ein Hausarzt pro Jahr behandelt oder behandeln soll. Die Zahl wird international diskutiert, und wird irgendwo zwischen 1.200 und 1.900 liegen. Hintergrund der Diskussion ist die Inhomogenität bezüglich Morbidität und Sozioökomie in den Listen, bzw. Einzugsgebieten. Wo Menschen kränker sind, muss das Panel kleiner werden, wo sie gesünder sind kann es größer werden. Um dafür sinnvolle Berechnungsmethoden zu entwickeln werden verschieden Bewertungskriterien erprobt.
In Österreich gehen etwa 80% der Einwohner wenigstens einmal zum Hausarzt (Bundeszielsteuerungsvertrag S.49), womit das Panel im Durchschnitt 1.800 beträgt (80% von 2.250). Im Burgenland ist zwar der Anteil der Menschen der einen Hausarzt aufsucht höher, die Panelgröße aber wegen der hohen Hausarztdichte nur 1.450. Anders in Wien, dort beträgt die Panelgröße 2.160, ist also 50% größer. Demnach müssten, wenn hinter diesen Zahlen Planung steckte, Wiener deutlich gesünder sein als Burgenländer. Anderenfalls ist es eben Willkür. Anhand der Zahlen sieht man aber bereits das wir eher an der oberen Grenze der Empfehlungen agieren, oder dieses sogar überschreiten.
Damit eine Panelgröße zwischen 1.200 und 1.900 qualitativ gut abgearbeitet werden kann, geht man von 3 bis 4 Arztkontakten pro Patienten und Jahr aus.
Gerechnet wird da aber von der anderen Seite – und zwar vom Arzt weg. Pro Arbeitstag und Vollzeithausarzt sollten zwischen 20 und 25 Patientenkontakte stattfinden. Denn die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn der Kontakt zwischen 10 und 15 Minuten dauert, und der Arzt nicht länger als 50 Stunden pro Woche arbeitet. Die Hälfte der Arbeitszeit wird durch Administration, Fortbildung etc. verbraucht, die andere durch direkten Patientenkontakt. Werden mehr als 25 Stunden mit direktem Patientenkontakt pro Woche verbracht, werden beide Seiten, also sowohl Arzt als auch Patient, unzufrieden und damit sinkt die Qualität. Sinkt die Qualität, werden Patienten häufiger zu Fachärzten überwiesen, die Compliance bei chronisch Kranken sinkt und erzeugt Folgeprobleme, wie etwa vermeidbare Krankhausaufenthalte, etc. Das ist alles sehr gut untersucht.
Und hier kommt dann „unser“ Modell ins Spiel.
Pro Patient hatten wir 2021 (so kann man aus dem Bundeszielsteuerungsvertrag errechnen) im Schnitt 11 Hausarztkontakt pro Jahr. Im Burgenland waren es 12,5. Und weil dort die Panelgröße 1450 beträgt, hat ein Hausarzt jährlich 18.000 Patientenkontakte. Auf 250 Arbeitstage runtergebrochen sind das 72 täglich. Also das dreifache von dem was als Obergrenze empfohlen ist. Wien liegt mit 10 Arztkontakten pro Patienten deutlich niedriger. Aber bei einer Panelgröße von 2.160 steigt die Zahl der jährlichen Patientenkontakte auf 21.100 oder 85 Patienten pro Tag. Mit dem Patientenbedarf hat das alles nichts zu tun
Entsprechend der internationalen Studienlage müssten wir bei solchen Zahlen erwarten, dass es eben zu einer erhöhten Inanspruchnahme der Sekundärversorgungsstufe, sprich ambulante fachärztliche Versorgung, und in weiterer Folge eine hohe Hospitalisierungsrate kommt. 52 mio Kassen-Facharztbesuche ,18 mio in der Spitalsambulanz, und die höchste Krankenhaushäufigkeit Europas beweisen das. Und um in Wien zu bleiben – dort sind die Facharztkontakte häufiger als die Hausarztkontakte – ein absolutes und weltweites Unikum, vermute ich.
Wenn also von 300 PVEs für 2,5 bis 3 mio Einwohner gesprochen wird, die zur Stärkung des niedergelassenen Bereichs und der Entlastung der Ambulanzen dienen sollen, dann wäre es sehr spannend, ob diese PVEs auf einen für diese Ziele vernünftigen Workload kommen – also irgendwo bei 20 bis 25 Patientenkontakte pro Arzt und Arbeitstag. Dann allerdings sind nach aktuellem Stand entweder 50 Arztkontakte pro Tag durch andere Berufsgruppen zu ersetzen (was mit unserem Arztvorbehalt kaum denkbar ist) oder aber ein PVE, braucht 15 Ärzte – und das wären eben echte PHC-Giganten
Es sind jetzt mehr als 15 Jahre vergangen, als mit einem Verfassungsgesetz beschlossen wurde, das Menschen, die bis dahin illegal in Österreich gearbeitet haben, von jeglicher Strafe oder Nachforderung befreit sind. Es war die Geburt der offiziellen Personenbetreuer – die seither als 24 Stunden- Pflege tief ins öffentliche Gedächtnis eingegangen sind.
Natürlich sind das keine Pflegekräfte. Es sind normale Menschen aus irgendwelchen Berufen, die aufgrund der Lohnunterschiede zwischen Österreich und ihrem, i.d.R. osteuropäischen Heimatland, hier viel verdienen. Sogar Universitätsprofessoren haben hier gejobbt – einfach, weil die 100€ pro Tag die hier verdient wurden, daheim eine Kaufkraft von 1.000€ hatten.
Aber, es war von Anfang an klar, dass diese Lohngefälle im Rahmen der europäischen Integration geringer werden. Und Wissende wußten, dass es nur ein Provisorium sein kann, um eine Versorgungslücke zu schließen.
Doch warum hat sich diese Lücke aufgetan?
Das ist die Folge einer jahrzehntelangen und andauernden Weigerung, die Langzeit-Pflege zu reformieren. Was im Grunde nichts anderes hieße, als sie gemeinsam mit dem Gesundheitssystem zu denken, und professionelle Pflege so einzusetzen, dass sie tun kann, was sie kann. Denn, auch wenn das nicht überall verstanden wird, professionelle Langzeit-Pflege, richtig eingesetzt, wirkt tertiärpräventiv. Sie kann die Pflegebedürftigkeit der Patienten senken, und so den Pflegbedarf reduzieren – und das gewaltig.
Informelle Pflege, sei es, durch Angehörige oder 24-Stunden-„Pflege“, kann das nicht. Die pflegt ins Bett und vom Bett ins Heim. Und dazwischen landen die Patienten immer und immer wieder im Spital. 24 Betreuung ist auf den ersten Blick billig, auf den zweiten Blick aber sehr teuer und vor allem schädlich.
Länder wie Dänemark aber auch die Schweiz setzen auf professionelle Langzeit-Pflege. Und dort wird bei vergleichbarem Personaleinsatz viel mehr erreicht. Der Anteil der Bevölkerung über 65 mit Einschränkungen bei den täglichen Aktivitäten ist praktisch überall gleich, aber bei uns ist die Zahl derer mit schweren Einschränkungen drei Mal höher. Integrierte, professionelle und koordinierte Pflege- und Betreuungsdienste verhindern nicht, dass wir alt werden, aber sie erleichtern das Alt-Sein doch erheblich.
Weil wir das aber auf Grund unserer Kompetenzverteilung im Gesundheits- und Sozialsystem nicht hinkriegen, setzen wir weiter auf „Selbstversorgung“ durch informelle Pflege. Und die sogt für einen immer stärker steigenden Bedarf. Und um die geringer werdenden Lohnunterschiede zu den Herkunftsländern der Personenbetreuer zu kompensieren, werden einfach zusätzliche Mittel ausgeschüttet.
Aber, das wird nicht funktionieren. Die Demographie ist hier sehr klar. Wenn wir den Pflegebedarf nicht durch tertiärpräventive Maßnahmen senken, wird die Langzeitpflege schlicht nicht bedarfsgerecht erbracht werden können. Wir sprechen hier von etwa 10.000 zusätzlichen Personenbetreuern, die wir ins Land holen und zusätzlichen 5.000 Angehörigen, die sich der Pflege widmen müssten – JÄHRLICH.
Der Weg muß ein anderer sein – und der setzt Mut voraus, vor allem auf der Ebene der Bürgermeister. Es ist unrealistisch, dass die durch die Verfassung normierte Kompetenzverteilung jemals geändert wird. Aber dezentral diese Kompetenzgrenzen zu sprengen, Mittel, woher auch immer, freizusetzen und statt Pflegeheime zu errichten, Pflege-Teams rund um Patienten entstehen zu lassen, die patientenorientiert arbeiten können, das könnte helfen – und ja, das niederländische „Buurtzorg“ wäre ein Vorbild.
Geht es um die Zukunft der Gesundheitsversorgung, redet jeder von Prävention und Health Literacy.
Die Lösung ist dann meist Gesundheitserziehung, eine gesunde Jause und Bewegung in der Schule, da Kinder von heute Erwachsenen von Morgen sind, die gesund altern und das Gesundheitssystem entlasten sollen.
Aber auch die allgemeine Vorsorgeuntersuchung sei wichtig, denn früh erkannte Krankheiten sind besser zu behandeln. Auch das würde viel sparen. Angeblich sechs Euro pro in Vorsorge investiertem Euro.
Es ist immer wieder erstaunlich, welche Wirkung der Prävention zugedacht wird. Leider ist das alles eher Populismus, und, wenn es um die Einforderung der Eigenverantwortung geht, mit Hang zur Demagogie.
Wissenschaftlich ist daran bestenfalls sehr wenig. Dort gilt seit langem das „Polypen-Rätsel“ und das „Inverse Care Law“. Ersteres beschreibt den Zusammenhang zwischen unwirksamen Präventionsmaßnahmen, wenn es kein stabiles Krankheitsmodell gibt, zweiteres das Problem, dass vor allem jene Prävention in Anspruch nehmen, die am wenigsten davon profitieren
Für das Polypen-Rätsel gibt es das Beispiel Schilddrüsenkrebs. Der wird durch verbesserte diagnostische Maßnahmen immer „früher“ entdeckt. Doch trotz seines nahezu epidemischen Auftretens, bleibt die Mortalität unverändert. Durch „Vorsorgeuntersuchungen“ finden wir also sehr viele Krebse, ohne dass sich die Zahl der daran gestorbenen ändert – wir überdiagnostizieren und übertherapieren.
Populistisch könnte man diese Zahlen aber auch so interpretieren, dass sich die Überlebenswahrscheinlichkeit vervielfacht hat. Und all jene, die eine Schilddrüsen-OP wegen „Krebs“ hatten, und nicht daran starben, sind davon auch fest davon überzeugt. Alleine es stimmt nicht.
Früherkennung ist mit Vorsicht zu betrachten. Und weil es eben nur für wenige Krankheiten so stabile Verlaufsmodelle gibt, dass eine frühe Diagnose wirklich was bringt, gibt es nirgends mehr allgemeine Vorsorgeuntersuchungen. Solche Untersuchungen sind nur dort sinnvoll, wo es um spezifische Krankheiten bei spezifischen Bevölkerungsgruppen (Risikogruppen) geht.
Und selbst dann gibt es ein Problem, nämlich das Inverse Care Law.
Sinnvolle Präventionsprogramme müssen das Ziel haben 100% der adressierten Bevölkerungsgruppe zu erreichen. Denn die ersten 50% werden gar nicht davon profitieren. Die achten von selbst so gut auf die eigene Gesundheit, dass jedes Programm defacto unnötig ist. Für die nächsten 25% besteht eine 50/50 Chance, dass das Programm was bewirkt. So richtig wirksam, ist es erst bei dem letzten Viertel. Das sind jene mit schlechter Health Literacy, niedriger Compliance und noch niedrigerer Adherence – Eigenverantwortung einzufordern mag zwar gut klingen, wird aber diese nicht erreichen. Gleichzeitig sind es aber nur die, wo dann das oben besprochene Potential von 6 Euro Behandlungskosteneinsparung liegen könnten.
Aber nähmen wir an, alle Probleme seien gelöst, welche Prävention ist den eigentlich wichtig? Sind es wirklich Kinder, denen wir Vorschriften machen sollten? Nein, denn die sind in der aktuellen demographischen Situation völlig nebensächlich.
Für die nächsten 30 Jahre sind es die Babyboomer, die unsere Gesundheitssystem überlasten werden. Wenn schon jemand mit gesetzlichen Pflichten zur besseren Lebensführung gezwungen werden müsste, dann die vor 1965 geborenen. Dort ist Übergewicht üblich, Alkohol- und Nikotin-Konsum hoch, Health Literacy niedrig und chronische Erkrankungen, deren Verlauf beeinflusst werden könnte, weit verbreitet.
Unangenehmerweise sind es aber auch die meisten Wähler. Denen Vorschriften und Pflichten aufzuerlegen ist politisch unklug. Und so liegt der Fokus auf Kindern, die gesund altern sollen.
Wenn die neue GÖG-Pflegebedarfsstudie 2050 den Bedarf an Pflege- und Betreuungspersonal mit 200.000 Köpfen angibt, dann sind das nicht ZUSÄTZLICHE, sondern eine Endzahl. Der zusätzliche Bedarf wird mit rund 70.000 angegeben. Also etwa 50% mehr als heute –ohnehin schon sehr viel, zu viel möglicherweise.
Denn, was diese Studie nicht bedenken durfte, sind Änderungen im Gesundheitszustand der Bevölkerung. Sie geht davon aus, dass die Ineffizienz des Systems einfach weitergeht.
Das heutige System muss aber pointiert als gesundheitsschädlich betrachten werden. Obwohl wir europaweit die höchste Inanspruchnahme von ambulanten und stationären Gesundheitseinrichtungen haben, sind wir trotzdem im Spitzenfeld der Pflegebedürftigkeit. Um es klar zu sagen – wenn wir es nicht schaffen, das System weniger gesundheitsschädlich zu gestalten, werden wir es nicht halten können, egal wieviel Personal wir ausbilden oder einfliegen lassen.
An dem Punkt kommt das Chronic Care Modell (CCM) ins Spiel.
Das CCM ist ein organisatorischer Ansatz zur Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen in der Primärversorgung. Es ist bevölkerungsbasiert und schafft praktische, unterstützende und evidenzbasierte Interaktionen zwischen einem informierten, aktivierten Patienten und einem vorbereiteten, proaktiven Betreuungsteam.
Wagner EH. Chronic disease management: what will it take to improve care for chronic illness? Eff Clin Pract. 1998;1:2-4
Sinnvoll umgesetzt, fördert das CCM die Fähigkeiten der Patienten zur Selbstverwaltung ihrer Krankheit, indem es diesen Werkzeuge und Ressourcen anbietet, um ihre Gesundheit aktiv zu managen. Es bietet klinischen Teams Werkzeuge und Ressourcen, um evidenzbasierte Richtlinien und Informationen zu nutzen. Es achtet darauf, dass Informationssysteme bestehen, um den Austausch relevanter Patienteninformationen zwischen den Mitgliedern des Gesundheitsteams zu erleichtern. Es fördert eine effiziente Organisation von Gesundheitsdienstleistungen, um die Bedürfnisse chronisch kranker Patienten effektiv zu adressieren. Und es bezieht die Unterstützung der Gemeinden in den Behandlungsprozess ein, um sicherzustellen, dass die Versorgung über die klinische Umgebung hinausgeht.
So etwas zu errichten ist keine Hexerei und es gibt dafür Unmengen an hilfreichen Tools im Internet – sofern es irgendjemanden gibt, der sich darum kümmert -und hier kommen die Bürgermeister ins Spiel.
Wenn wir Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner außer Acht lassen, bleiben etwa 2.000 Bürgermeister übrig, die für etwa 5.000.000 Einwohner zuständig sind. Pro Gemeinde im Schnitt 2.500 Einwohner.
Etwa 20% haben ein chronische Erkrankung, die, wenn richtig adressiert, zu weniger Akuterkrankungen und geringerem Pflege- und Betreuungsbedarf führt. Wenn man die Hälfte dieser Patienten erreichte, würde das bereits einen erheblichen Hebel für die Prognose der GÖG-Studie bedeuten – und das System retten.
Runtergebrochen auf eine Durchschnitts- Gemeinde sind das also etwa 250 Einwohner, deren Versorgung besser über ein CCM koordiniert werden müsste. Wenn man für jeden etwa eine Stunde pro Monat professionelle „Koordination der CCM“ einplant, sind das 1,5 VZÄ. Übertragen wir diese Aufgabe einer Community Nurse, die direkt bei der Gemeinde angestellt ist, sind Datenschutzthemen oder Haftungsfragen leicht geklärt. Zudem würde eine derartige Position, die weder dem Gesundheitssystem, noch dem Pflegewesen zugeordnet ist, sondern schlicht eine „Verwaltungskraft“ darstellt, jene Brücken schlagen können, die eben heute nicht bestehen und die Ineffizienz ausmachen. Die aktuelle Gesetzeslage ließe das alles zu, sogar mit Förderungen könnte man rechnen.
Die Probleme sind bekannt: Durch zu viele Akteure wird eine überregionale Zusammenarbeit zugunsten von „Eigeninteressen“ behindert. Die Existenz so vieler Akteure ist nicht geeignet, die Entwicklung eines rationellen, aufeinander abgestimmten und reibungslos funktionierenden Systems zu fördern. Zwischen intramuralem und extramuralem Bereich besteht eine scharfe Trennlinie. Es existieren Zweigleisigkeiten in der Arbeit von Spitälern und Ärzten in der Praxis.
Trotz Bemühungen um eine verstärkte Koordinierung ist das Gesundheitssystem aufgrund seiner Verwaltungsstruktur und dualen Finanzierung komplex und fragmentiert. Besonders die Aufteilung der Finanzierung von intra- und extramuralen Leistungen kann die Betreuungskontinuität beeinträchtigen. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass zurzeit die Gesundheitsergebnisse schlechter und die Gesamtkosten höher ausfallen, als dies in einem koordinierten System der Fall wäre.
Um eine nachhaltig qualitätsgesicherte Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung sicherzustellen, braucht es eine Reform. Diese sollte dazu führen, dass die Leistungsangebote in allen Sektoren aufeinander abgestimmt und patienten- und bedarfsorientiert gestaltet werden. Parallelstrukturen sollen verhindern bzw. abgebaut werden. Um das zu beobachten, sind routinemäßige Messung der Versorgungseffektivität nötig. Das Finanzierungs- und Honorierungssysteme muss sich stärker am Versorgungsbedarf ausrichten. Der stationäre Bereich ist durch medizinisch und gesamtwirtschaftlich begründete Verlagerung von Leistungen in den tagesklinischen bzw. ambulanten Bereich zu entlasten. Und für ausgewählte Krankheitsbilder soll es, am Patientenbedarf orientierte, Versorgungsstandards und Disease Management Programme geben
Auch Ziele und Maßzahlen sollten festgelegt werden. Man kann sich eine ganze Menge an Zielen vorstellen, die man etwa in strategische und operative Ziele unterscheiden könnte. Beispielsweise könnten für Diabetiker bundesweit einheitliche Qualitätsstandards festgelegt und diese auf Landesebene oder in definierten Versorgungsregionen gemessen werden. Oder, wenn es simpel gehen soll. werden einfach Ziel-Anteile der Diabetiker die im Rahmen von „Therapie Aktiv“ versorgt werden, festgelegt.
Nun, wem das bekannt vorkommt, die Auflösung: Absatz 1 enthält Aussagen einer Studie aus dem Jahr 1969 (!), Absatz 2 aus einer Studie aus 2017. Absatz 3 ist voll von Aussagen des Bundeszielsteuerungsvertrag 2013 und die angesprochenen Ziele im Absatz 4 findet man in den Zielsteuerungsverträgen 2013 bzw 2022 – dort unterscheidet sich nur die Zielerreichungsfristen, die immer weiter gestreckt wurden.
Jetzt dürften wieder Zielvorgaben kommen – und wie üblich: „Wir werden mit dem Bund gemeinsam Ziele formulieren, aber es sind keine Sanktions-Maßnahmen damit verbunden.“ Und „Werde ein Ziel nicht erreicht, so werde man die Zielsetzung evaluieren.“
Man könnte meinen, diese Ziele sind unnötig – ein Trugschluss. Die Ziele, die mühsam in den 2010er Jahren verhandelt wurden, haben an Aktualität nichts verloren. Sie sind weiterhin gültig und wichtig. Was wir aber nun mit Sicherheit wissen, ist, dass eine Gesundheitsreform keinerlei Chance hat, diese Ziele auf den Boden zu bringen. Für das Bodenpersonal ist das angesichts der demographischen Entwicklung fatal. Um nicht unterzugehen, wäre es mehr als sinnvoll, dezentral, weit unterhalb der Länderebene, den Bundeszielsteuerungsvertrag 2013 heranzuziehen und die dortigen Ziele selbst umzusetzen, unabhängig, ob es irgendwelche Reformen gibt oder nicht. Es muss jetzt einfach schneller gehen.
Primary Health Care ist mehr als Allgemeinmedizin oder Primärversorgungseinheiten
Eine 75 jährige, seit 6 Monaten verwitwet, kommt ein bis zwei Mal pro Woche zum Hausarzt. Was könnte das Problem sein? Selbst Laien antworten schnell mit „Einsamkeit“ oder „Trauer“. Und das ist es wohl in der Regel auch.
An dem Punkt stellen sich zwei Fragen: 1. Warum Hausarzt? 2: Was kann der tun?
Die erste Frage ist leicht beantwortet. Traurig und einsam zu sein, fühlt sich ungesund an. Der Mensch fokussiert sich dann auf alle möglichen Symptome – und geht damit zum Arzt.
Die zweite Frage ist schon schwerer zu beantworten. Therapie gibt es eigentlich keine, es sei denn, die Trauer ist derart stark, dass sie einen therapierbaren Krankheitswert hat und so einen sozialversicherungsrechtlichen Fall auslöst. Dann könnte eine Verschreibung eines Antidepressivums oder eine Überweisung zu einem Psychiater erfolgen. Aber in der Regel ist das nicht nötig. Andere Leistungen sind jedoch im Katalog des Hausarztes nicht enthalten, können nicht enthalten sein, weil die Krankenkassen für Krankheiten zuständig sind. Trauer und Einsamkeit sind meist keine Krankheit -und dann eigentlich kein Fall für den Arzt. Der Patient sitzt allerdings bei ihm?
Ein weiteres Beispiel
Wer Durst hat, der geht zur Wasserleitung und trinkt. Doch was, wenn er nicht gehen kann? Sollen wir Durst, ein gesundheitliches Problem, nicht adressieren und warten bis daraus eine Dehydration entstanden ist, um sicher zu stellen, dass der Patient nun sicher krank und damit Leistungen an ihm versichert sind? Wer aber übernimmt Organisation und Kosten für die pflegerische Betreuungsleistung, damit die Dehydration NICHT eintritt?
Und genau an solchen Punkten scheitert in Österreich die Idee des Primary Health Care (PHC), bzw. die Umsetzung der Idee mit stark regulierten PVEs.
PHC arbeitet mit dem sogenannten bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell der WHO das gesundheitlichen Probleme (also nicht nur Krankheiten) der Bevölkerung in einem definierten Einzugsgebiet adressiert.
Hier geht es um mehr als nur die Behandlung einer biologischen Fehlfunktion, also einer Krankheit, sondern auch um deren Bedeutung und Querverbindung in und mit der Umgebung und der Psyche.
PHC ist also ein Prozess, der nicht zwischen Sozial- und Gesundheitssystem unterschiedet. Die Trennung zwischen gesundheitlichen Problemen, die tendenziell dem Sozialsystem zugerechnet werden und Krankheiten, die ins Gesundheitssystem fallen, muss aufgehoben werden. An dieser Grenze, die jährlich millionenfach berührt ist, dreht sich, demographiebedingt, im Grunde alles. Wer an der Grenze versucht, durch zentrale Regularien, Mirkomanagement zu betreiben, etwa durch das Honorarsystem der Krankenkassen oder strikten Personalvorgaben des Bundes für PVE, wird scheitern. Zu vielfältig ist die Welt des PHC.
Statt Mikromanagement Flexibilität, statt zentral dezentral – Im Grunde geht es darum, rund um definierte Einzugsgebiete (rund um einen Hausarzt, der nicht mehr als 1.500 EW versorgen sollte) auf Gemeindeebene Koalitionen der Willigen zu bilden und einfach anzufangen. Ärzte, Pflegekräfte, Apotheker, Therapeuten, Betreuungsdienste sollen sich zusammentun, und tun was das sie für das Beste halten. Idealerweise unter der Moderation der Bürgermeister. Denn, was wo wie funktioniert ist kaum und schon gar nicht zentral planbar. Und es gibt auch keine Garantie, dass eine Maßnahme zum Erfolg führt. Try and Error, und die Hoffnung, dass irgendwer daraus lernen will, sind so ziemlich die einzige Option. Kluge Gesundheitspolitik würde daher die PHC-Ebene deregulieren, und dafür Ergebnisse messen und fordern.
Wie zu erwarten, wurde es auch diesmal „die größte Strukturreform“ aller Zeiten. Eine Analyse des Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024 ist dann aber doch eher anders.
Das Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024 ist nur ein Sammelsurium alter Gesetzestexte, die, wie etwa der §6 das Bundesgesetz über die Dokumentation im Gesundheitswesen, mehr oder weniger wortgleich, einfach neu Fristen erhalten haben. In dem Fall ein Gesetz aus 1996, das die Diagnose-Codierung im ambulanten Bereich mit Frist 2001 vorschrübe, wird nun mit der neuen Frist 2025 versehen – Jetzt aber wirklich.
Ich glaube, es gibt keinen einzigen neuen Paragraphen. Die „Wiederverwertung“ alter Gesetze, die, wie die viele Rechnungshofberichte nach jeder Reform darlegen, in den letzten Jahrzehnten konsequenzlos ignoriert wurden (i.e Lex imperfecta), ist defacto das Rückgrat dieser „größte Strukturreform“. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass man nicht viel verhandeln muss. Es ist, wie Franz Bittner es ausdrücken würde: „… alter Wein in noch älteren Schläuchen“. Und weil es eben nichts neues ist, und die Texte ja schon verhandelt wurden, stehen sie daher weitgehend außer Streit. Das erspart viel Arbeit.
Allerdings, diese Texte so anzupassen, dass die „neuen“ Ideen reinpassen und Extra-Wünsche, v.a. der Länder, enthalten sind, macht diese praktisch unlesbar. Was genau der Inhalt mancher Passagen ist, wissen vermutlich nur die Verhandler selbst, wenn überhaupt. Der Normunterworfene allerdings kann kaum sagen, wie der Staat in einer bestimmten Situation handeln wird. Zu unklar und unscharf sind die Gesetze. Wenn etwa § 14 Gesundheits-Zielsteuerungsgesetzes den Aufbau eines Termin-Managementsystems „… mit Fokus auf den extramuralen Bereich im extramuralen Bereich durch die SV ..,“ vorsieht – was ist damit gemeint?
Hinter solchen Formulierungen versteckt sich ein Haufen Pfründe- und Willkür-Absicherung, der zeigt wie schwach verhandelt wurde. Im Beispiel, ich kann nur mutmaßen, dürfte es darum gehen, dass die Länder weiterhin für den intramuralen, die SV für den extramuralen ambulanten Akutbehandlungsbereich zuständig, und weiterhin niemand für irgendein Ergebnis verantwortlich ist. Spitalsambulanzen bleiben Ländersache, Kassenordis die der SV. Ich denke, das ist von Anfang an totes Recht – und weil das jeder Verhandler wusste, haben die nur darauf geachtet, dass da keine Fallstricke bei der Kompetenzverteilung enthalten sind und das hin und her schieben der Verantwortung nicht gefährdet wird. Das Resultat ist dann eben so ein Text.
Ein weiteres Beispiel dazu, ist der neue §62g des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes, in dem es um die Geschäftsordnung der nun in Bewertungsboard umbenannten Medikamentenkommission geht – weiter unten widme ich mich diesem Ding noch inhaltlich.
Herauszufinden, was das heißt, dauert. Am Ende ist klar, dieses „Board“ ist keines, es sind eher zwei – eines für die Spitäler, eines für die Kassen. Was sie eint ist, dass der Bund den Betrieb zahlen muss.
Im Grunde ist das KaKuG mittlerweile genauso unlesbar wie das ASVG – erschwerend kommt jedoch hinzu, dass dieses ja nur eine Grundsatzfestlegung ist – die Ausführungsgesetze werden dann je Land noch einmal in Eigenregie verändert, oder eben nicht. Durchblicken wird keiner.
Apropos Bewertungsboard; dass endlich englische Fachausdrücke, die es oft eben nur in Englisch gibt, eingeführt wurden, ist gut. Etwa die „spending reviews“ (Gesundheits-Zielsteuerungsgesetzes § 6 Abs. 2; warum die unter Anführungszeichen und klein geschrieben wurden weiß ich nicht), die bereits auf OECD-Ebene definiert sind (Anm.: das die in Ö wirklich kommen, ist unwahrscheinlich)
Zusätzlich sind die Gesetze aber voll von neuen merkwürdigen Austriaca, also nach Fachausdrücken klingende, aber nur in Österreichs Verwaltung vorkommende, Wörter, wie eben das denglische BewertungsBoard. Dann gibt es da noch die „analoge Vergleichbarkeit“ – wenn die weißen Schimmel im Amt wiehern. Auch der Ausdruck „tagesklinisch/tagesambulant“ klingt super, sagt aber nichts aus. Nicht neu aber erhalten blieben uns die zu Klassiker gewordenen „Best Point of Service“ (wohl in Anlehnung an Point of Care) und natürlich „Primärversorgungseinheit“.
Beeindruckend ist der „Ärztebereitstellungsdienst“ im §341ASVG. Diese Neuschöpfung, die es erst seit wenigen Monaten und exklusiv in NÖ gibt, und eine Art Poolärztedienst darstellt, nachdem das Leiharzt-Modell (landeseigene Spitalsärzte sollten an unbesetzten Kassenordis verliehen werden) nicht funktioniert, findet nun Einzug in Bundesgesetze – und erhält dort entsprechende Privilegien. Er, der Ärztebereitstellungsdienst, darf tun, was er will, weil es für ihn ergänzende oder abweichende Regelungen geben darf. Willkür eben! Wer oder was dieser Dienst ist, ist völlig unklar, offenbar ist es einfach ein Etikett, das man irgendwo draufkleben muss – ob ich sowas „einrichten“ darf? nobody knows!
Und, anders als echte Pooldienste, werden die dort tätigen Ärzte, auch wenn es kaum etwas angestellteres gibt, sicherheitshalber gesetzlich zu Selbstständigen gemacht – die gesetzlich verordnete Nicht-Scheinselbständigkeits-Selbständigkeit
Ja, der §47a des Ärztegesetzes 1998 – ÄrzteG 1998 wird erweitert! Zuerst die Nicht-Scheinselbständigen, weisungs-, orts und zeitgebundenen Notärzte, jetzt die Poolärzte – der Paragraph entwickelt sich.
Aber die Legistik ist nicht nur schlecht, sondern auch schlampig. Ein Beispiel wäre die simple Umbenennung der Rahmen-Gesundheitsziele in die Gesundheitsziele -Österreich. Erstere sind ja schon ziemlich alt und unerreicht, die „neuen“ haben daher nichts mit den „alten“ zu tun – außer im § 9 G-ZG, dort hat man „vermutlich“ vergessen“ das „alte“ durch das „neue“ zu ersetzen!
Vermutlich, oder eben auch nicht. Nur wer dabei war, weiß, ob das bewusst oder unbewusst war. Weder Erläuterungen noch Text geben den Willen des Gesetzgebers klar weiter – also werden es Gerichte machen müssen, sollten jemand Fragen, wohin die Gelder geflossen sind.
Am Ende ist definitiv nicht viel Arbeit in diese Reform geflossen – auch wenn das der Minister anders empfinden mag.
Inhaltlich
„digital vor ambulant vor stationär“
Aufhänger ist „digital vor ambulant vor stationär“.Hier wurden die meisten „neuen“ Texte eingeführt – genauer betrachtet sind es aber nur Erweiterungen der bekannten „ambulant vor stationär“-Gesetze, die es seit Jahrzehnten gibt und deren Ziel immer der Abbau des akutstationären Bereichs bei gleichzeitigem Ausbau der ambulanten Versorgung unter Sicherstellung des Zugangs zu und der Verfügbarkeit von allen notwendigen Leistungen war.
Wenn man Daten anschaut, haben die alten Gesetze kaum gewirkt. Es gab weder einen Ausbau der Spitalsambulanzen noch der Kassenversorgung und auch keinen Abbau des akutstationären Bereichs. Wenn es etwas gab, dann eine Verschiebung mancher vollstationären Leistungen in den, ebenfalls dem akutstationären Bereich zugerechneten, tagesklinischen Bereich. Was die vollstationäre Patientenzahl betrifft, sind wir immer noch Weltspitze. Und wer sich mit dem Spitalsbetrieb auskennt weiß, dass Bettenauslastung weiterhin das oberste Ziel der Verwaltung ist – kein Wunder, hängt sowohl das finanzielle als auch politische Überleben der Spitalsstandorte weiterhin von vollen Betten ab.
Warum sollte also das Ziel „„digital vor ambulant vor stationär“ jetzt verwirklicht werden können? Es einfach in ein paar Gesetzen, deren Nicht-Befolgung konsequenzlos ist, reinzuschreiben ist eben nicht genug. Patientenströme können nur dann sinnvoll gesteuert werden, wenn ALLE Anbieter an einem Strang ziehen – und das wäre eine Reform – aber es ist nicht diese.
Gestützt wird die Hypothese, dass sich nichts ändern wird, auch dadurch, dass es keinerlei veröffentlichte Entscheidungsgrundlagen gibt, die zu den politischen Aussagen rund um die erwartete bessere Patientensteuerung gibt. Ein digitales Tool ist ja nur dann hilfreich, wenn es bei bekannten Patientenwegen eingesetzt wird. Das was mit der Reform kommen soll, ist aber nicht mehr, als eine Option Akutpatienten eventuell davon abzuhalten, einen persönlichen Kontakt zu einem Gesundheitsprofessionisten zu verursachen. Die meisten Patienten sind aber eben nicht mehr akut, sondern chronisch. Telemedizin ist also vor allem dort hilfreich, wo es darum geht, chronisch Kranke zu führen – aber davon ist nicht die Rede.
Und nur so als Beiwort: 1450 ist die Telefon-Schmalspurvariante des TeWeb, das seit über 15 Jahren in Gesetzen und Planungen vorkommt, und ELGA hat über zwei Jahrzehnte auf dem Buckel -Papier ist geduldig.
Ärztekammer -Entmachtung
Der „große Wurf“, soll die Entmachtung der Ärztekammer sein, Und Prima Vista ist die Reduktion der Veto-Player in der ambulanten Versorgung tatsächlich etwas richtiges. Nicht weniges wurde auch, aber eben nicht nur, durch die Ärztekammer verhindert – etwa die Einführung von PHC, die über ein Jahrzehnt mit Weltuntergangsszenarien bekämpft wurde (und auch noch wird, jetzt halt ein bisschen weniger dramatisch) oder ELGA , die ein Spuk wäre, der uns bloß stellt.
Der zweite Blick allerdings führt aber zur Frage, ob die ambulante Versorgungsplanung nun wirklich besser wird, weil DER Blockierer weg ist?
Die ambulante Versorgung ist aufgeteilt in Kassenstellen Ärzte-gmbHs (die es defacto kaum gibt, obwohl sie der Kernpunkt der größten Strukturreform von Stöger waren) Spezialambulanzen, Zentrale Ambulante Erstversorgung, interdisziplinäre Aufnahmestationen (die beiden letzteren gibt es, auch wenn das kaum jmd weiß, erst seit 2012 und waren die ersten rechtmäßigen Einrichtungen in Spitälern mit ambulantem Versorgungsauftrag), kasseneigene Ambulatorien, selbstständige Ambulatorien, PVE, Facharzt-Zentren (Die es bis dato nur gesetzlich, aber nicht real gibt) und Wahlärzte. Alle diese Einrichtungen arbeiten nach unterschiedlichen Regularien und verfolgen unterschiedliche Ziele, von unterschiedlichen Entscheidungsträgern, von denen die Ärztekammer eben nur einer ist – und alle sind nicht aufeinander abgestimmt und liefern keine Daten, da es keinerlei Versorgungsaufträge gibt, auch wenn diese nach dem Zielsteuerung Gesundheit -Gesetz (Gesundheitsreformgesetz 2013) eigentlich seit 2016 gesetzlich vorgeschrieben wären.
Mit dem Fehlen der Versorgungsaufträge und einem verbindlichen Leistungsspektrum, das durch die Rollenverteilung entstünde, machen im Grunde alle was sie wollen, bzw in den Spitälern als letzter Ausweg, machen müssen, weil es sonst keiner macht. Was wer wo macht wird entweder verhandelt oder willkürlich festgelegt. Egal was Gesetze sagen.
Wenn also jetzt das ÄK-Veto wegfällt, wie werden nun Planungsentscheidungen fallen werden?
Nun, das Veto-Recht der Ärztekammer bezog sich nur auf Ambulatorien und Kassenstellen, die beide nur dann errichtet werden durften, wenn es den nachgewiesenen Bedarf gibt UND die Kammer zustimmt. Weil aber vernünftige Rahmen für die Bedarfsprüfung fehlten und fehlen, wurden diese einfach immer verhandelt – immer. Egal ob das mit EU-Recht vereinbar ist oder nicht. Der Klagsweg ist schlicht für den einzelnen sehr aufwendig.
Und um das Chaos nun aber wirklich zu beenden, kommen die RSGs wieder ins Spiel. Diese Planungsinstrumente sind ebenfalls bald 20 Jahre alt – und versorgungswissenschaftlich völlig wirkungslos, wie die Inhomogenität der Versorgungslandschaft zeigt. Und weil die Wirkungslosigkeit schon vor 10 Jahren offenbar war, wurden eben 2013 in der Zielsteuerung ein Strategisches Ziel definiert, wonach die Versorgungsdichte bedarfsorientiert sein soll.
Und die so bedarfsorientierte Dichte soll dann in den RSGs münden
Geändert hat sich aber bis heute trotzdem nichts Weiterhin stehen einem Mühlviertler nur halb so viele Kassenfachärzte zur Verfügung, wie einem Wiener und die Innviertler liegen 50% häufiger im Spital als die Ost-Steirer.
Würden die RSGs, wie gesetzlich vorgeschrieben, echte Planungsinstrumente nach echten versorgungswissenschaftlichen Regeln, wie ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben, sein, es wäre kein Problem, diese zentral in der neuen Reform zu verankern – sind sie aber nicht. Wer die RSGs kennt, und die daraus folgende Inhomogenität der Strukturen und Versorgung, weiß, dass die halt nur willkürlich landespolitische Pläne sind, mit denen Betten auf willkürliche Standorte verteilt werden und mit ein paar unnachvollziehbaren alten Daten der Sozialversicherungen aufgehübscht sind. Selbst die Darstellung des IST-Stands in diesen Plänen ist mindestens 4 Jahre alt – also weit weg von irgendwas Ernstzunehmendem. Aber das dürfte nicht gestört haben, als der § 21 Abs. 3 Gesundheits-Zielsteuerungsgesetzes entsprechend installiert wurde
Die SV können gar nichts in einem RSG sicherstellen. Sie sind schon rein rechtlich gar nicht in der Lage, den Ländern bezüglich Betten, Tageskliniken oder Ambulanzen Vorschriften zu machen. Der Gesetzgeber für alle ambulanten Leistungen, die nicht in einer Kassenordi erbracht werden, sind die Landtage, und die Exekutive dieser Gesetze sind die Landesregierungen. Egal was in diesem Paragraphen steht, er ist nicht mit der Verfassung im Einklang, steht aber schon seit vielen Jahren so im Gesetz – und hat niemanden interessiert. Ein Hinweis darauf, dass es eben totes Recht ist.
Doch durch die Einführung des Abs. 2a (der Rest ist grosso modo alt, obwohl 1a eben aus einem anderen ignorierten Gesetz stammt) soll der RSG jetzt offenbar als Maß des Versorgungsbedarf festgelegt werden. Etwas das er ohnehin schon sein müsste, aber eben nie wurde – doch jetzt per Gesetz sehr detailliert bis auf Bezirksebene sein muss, da die RSGs verbindlich erklärt werden können, und damit den Bedarf fixieren. Das klingt etwas theoretisch, wird aber sehr reale Auswirkungen haben.
Statt einen Bedarf an einem bestimmten Ort prüfen zu lassen, werden nun Standorte verbindlich festgelegt und ersetzen die Bedarfsprüfungen (auch diese Idee ist bereits viele Jahre alt). Heißt, was nicht im RSG drinnen steht, darf es auch nicht geben. Wie weit das geht oder gehen kann ist aktuell nicht klar – könnten dadurch theoretisch etwa alles Kassenstellen in einer Region abgeschafft werden? Oder verdoppelt? Könnten alle Ambulanzen gesperrt oder verdoppelt werden? Könnte man überall jetzt Spitäler errichten oder sperren, nur weil es einem Landespolitiker gefällt? Niemand kann das auf Basis dieses Gesetzes erahnen, was wo wie warum passiert. Umso mehr, als dass alle Zahlen, Daten und Fakten, die den Planungen zu Grunde liegen sollen, weiter geheim und einer Begleitforschung entzogen bleiben.Gegen einen RSG vorzugehen war schon immer schwer, wird aber jetzt sehr viel schwerer. Aber ob diese RSGs auch einer rechtsstaatlichen Prüfung standhalten? Wohl nicht.
Ich wiederhole – wären die RSGs auch nur ansatzweise versorgungswissenschaftlich korrekte Planungsinstrumente und nicht Willkürakte, würde die Idee gut sein. Aber sie sind nun einmal nur willkürlich und nicht bedarfsorientiert. Und weil eben die Versorgung in jedem Winkel Österreichs derartig unterschiedlich ist, aber alles den gleichen Gesetzen und Planungsgrundlagen unterliegen muss, müsste praktisch überall geprüft werden, ob die RSGs nicht gegen Verfassung und EU-Recht stehen. Doch das wird nicht passieren. „Wo kein Kläger da kein Richter“ dürfte der Grundgedanke dieser Gesetze sein – Jetzt, wo ein Institutioneller Veto-Player mit Freude und Geld für jegliche Klage durch alle Instanzen, die Ärztekammer, nicht mehr im Spiel ist, ist es nicht abwegig anzunehmen, dass in diesem Gemauschel und Getauschel sich keiner trauen wird, gegen ein Land zu klagen. Es wird also die Willkür der jetzigen Entscheidungsträger unkontrolliert wachsen, und die Versorgung der politischen Ökonomie ausgeliefert sein.
Bewertungs-Board
Und die Willkür wird nun auch auf Medikamente im Spital ausgedehnt – mittels Bewertungsboard. Im Grunde ist das ein neuer Ausdruck für die Medikamentenkommission, die, obwohl 10 Jahre alt, halt niemanden interessiert hat, möglicherweise, weil sie nicht klar definiert wurde und von der normierten Arzneimittelkommission unklar abgegrenzt war
Um aber diesem toten Pferd Leben einzuhauchen hat man dem Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz nun ein neues Hauptstück gegönnt
Ein Hauptstück, das allerdings ohne eigene Paragraphen auskommt – denn es wurde schlicht der § 62 aus dem Hauptstück F um die Buchstaben d, e, f, g, h, und i ergänzt. Vermutlich wollte man sich Arbeit ersparen – aber wie gesagt, die Legistik ist furchtbar.
Würde das alles so laufen wie im NICE in UK, also evidenzbasiert, transparent und nachvollziehbar, dann wäre das völlig in Ordnung. Das wird es aber nicht – denn das Board ist voll von Politikern, die Daten haben, die sonst niemand sehen darf, und deren Gesetzesvorgabe so unklar ist, dass alles oder nichts hier beschlossen werden kann. Denn während die Verteilung der Steuergelder auf 100tausendstel genau (also auf 10.000€ genau) geregelt ist, wird sich das Bewertungsboard mit voraussichtlich hochpreisigen und spezialisierten Medikamenten beschäftigen. Was hochpreisig ist, entscheiden sie selbst. Und zwei Gummi-Absätze definieren was „spezialisiert“ ist
Was immer da auch jetzt hinter verschlossenen Türen passiert, es wird (1) geheim bleiben, da auch hier alle Zahlen, Daten und Fakten nicht offiziell sein werden, und die Geschäftsordnung vermutlich Geheimhaltung vorschreiben wird, und (2) gesetzeskonforme Willkür sein – dafür sorgt dieses Hauptstück G. Und das es nur ums verhandeln (oder eben Mauscheln und Tauscheln) geht zeigt der §62i – bei dem sich ein Anführungszeichen aus einem offenbar anderen Text erhalten hat – wie gesagt, die Legistik ist unterirdisch
Conclusio
Länder und Kassen kriegen deutlich mehr Geld als früher, um weiter das zu machen, was offenbar bisher nicht funktioniert hat. Wahnsinn ist es, wenn man immer das Gleiche tut, und meint, es kommt was anderes heraus.
Wenn was Neu ist, dann könnte man eventuell behaupten, dass die Länder nun noch weniger Regeln haben, die sie missachten müssen, wenn sie tun was sie wollen. Und die Kassen kriegen jetzt erstmalig direkt zusätzliches Steuergeld, um eben das zu machen was sie wollen.
Wo genau die vom Minister zitierte „viele Arbeit“ lag und wo der Tisch steht, an dem jetzt alle zusammensitzen – unklar
Aber, es ist klar die Handschrift der Länder zu erkennen – die wollen ja kein Spital sperren, brauchen dazu aber billige Arbeitskräfte – und die wurden fixiert.
Dafür sorgt die wenig diskutiert Änderung des Ärztegesetzes 1998 – ÄrzteG 1998 bei den Bestimmungen der Ausbildungsstätten für die Ausbildung zum Facharzt § 10.
Diese Änderung wird wirkmächtig, und kommt ganz ohne Ziele aus. Es ist ein Rückschritt in der Ärzte-Ausbildung. Die Zahl der Ausbildungsstellen wird dadurch schlagartig steigen, weil nun ein Facharzt bis zu zwei Absolventen und fast unbegrenzt Studenten im KPJ ausbilden darf. Viel wird da nicht gelehrt werden, aber Dienstpläne können, so die Hoffnung der Länder, mit billigem Personal gefüllt und Spitalsstandorte gesichert werden – und „digital vor ambulant vor stationär“ konterkarieren. Alleine, die Absolventen werden da nicht mitspielen und ins Ausland gehen. Und das wird gute Gründe liefern, mehr MedUnis zu errichten. Und so beginnt alles von vorne.
Ich finde es eigentlich tragisch, dass ich glaubte, ich könne einen Beitrag liefern, die populistische in eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik zu transformieren. What a fool i was, what an elevated fool
Dabei war ich nicht naiv – Es war klar, dass diese Kolumne keine Massenaufklärung sein kann. Aber eine interesseierte Öffentlichkeit zu erreichen, war das Ziel. Vor allem aber Entscheidungsträger! Denn auch wenn die Leserzahl gering sein mag, die Kolumne war in jedem Pressespiegel aller Institutionen – und deswegen weiß ich, alle waren Informiert und haben auch alles ignoriert.
Am Ende haben die gewonnen, die die eigenen Pfründe verteidigen und am Patientenwohl desinteressiert sind. Die Kammerfunktionäre und Landespolitiker, die Gewerkschafter und Bürgermeister. Mit Intransparenz und Schönreden, aber vor allem nach dem Floriani-Prinzip, haben sie sich tapfer gegen Zahlen, Daten und Fakten gestellt und alle Probleme in einem Ressourcenmangel gesehen, deren einzige Lösung im „MEHR“ liegt.
Dabei wurde oft und immer wieder von vielen Stellen analysiert, dass es nicht Mangel sondern Ineffizienz, also Verschwendung ist, die zum Problem wurde. Dann wurde diskutiert, dann ignoriert um ein, zwei Jahre später wieder aufzupoppen und neu analysiert, diskutiert und wieder ignoriert zu werden. Ein ewiger Kreis. Und erst wenn es MEHR, von was auch immer gab, wurde der Kreis durchbrochen –nur für kurze Zeit, weil das Problem ja nicht gelöst, sondern nur mit MEHR zugedeckt wurde. Und alles begann von vorne. Wer aber nicht weiß, wie man Ressourcen richtig einsetzt, der wird eben nie genug davon haben.
Am imposantesten ist da sicher der Ärztemangel. Der hat uns 15 Jahre begleitet, die Lösung war und ist MEHR Mediziner. Und obwohl Ärzte und Studienplätze immer mehr wurden, der „Mangel“ blieb. Besonders absurd ist der aktuelle Ruf zur Rückkehr in die gute alte Zeit vor dem EU-Betritt, als unsere Unis noch uns gehörten und nicht von germanischen Horden von Numerus Clausus-Flüchtlingen gestürmt wurden. Es wiederholt sich immer alles.
Und das gilt überall. Das Pharmabashing ist ebenso ein Dauerbrenner, wie der Machtkampf um Wahlärzte und Hausapotheken, die Wartezeiten und volle Kassenordinationen, die fehlende Palliativversorgung, die fehlende Abstimmung zwischen Pflege und Spital, und die Spitalslastigkeit des Systems, In den letzten Jahren kam, wie erwartet und vorausgesagt, das „unlösbare“ Pflegeproblem dazu.
All das fußt auf der Verweigerung der Institutionen transparenter zu werden. Weiterhin werden Daten zurückgehalten und geheime Verhandlungen geführt – denn das Narrativ des weltbesten Gesundheitssystem der Welt, das halt nur, wegen „Totsparen“, an Ressourcenmangel leidet, darf nicht verändert werden – koste es, was es wolle. Als ich vor 15 Jahren hier begann statt MEHR eben ein STATT aufzuzeigen, wurde ich gerne als selbsternannten Experten diffamiert, und habe mich doch zu einem realtiätsgeprüften Propheten hochgearbeitet. Damit ist also jetzt hier Schluss. Die Kolumne wird in der Wiener Zeitung wegen Bedeutungslosigkeit spurlos eingestellt werden können. Und Ich? ab ins Biedermeier – damit der Vormärz bald kommt.
Üblicherweise ist die kognitive Dissonanz ein unangenehmes Gefühl, das dann auftritt, wenn das, was man erlebt, im Gegensatz zu dem steht, was man erwartet. Das kann natürlich damit zusammenhängen, dass man eine sichere Erwartung hat, die absurd ist. Wer meint, er könne einen Ball in den Weltraum schießen, sollte erkennen, dass seine Meinung schlicht falsch ist, und keine kognitive Dissonanz entwickeln beziehungsweise dieses eben dadurch lösen, dass er die Gravitation anerkennt und damit seine Erwartungen anpasst. In vielen Fällen sollten die Selbstreflexion der eigenen Meinung und die Anpassung derselben an die Realität zur Lösung beitragen können.
Anders ist es, wenn man sich mit dem österreichischen Gesundheitssystem beschäftigt. Wer sich hier mit realen Daten und Fakten beschäftigt und dann die Aussagen und Maßnahmen der Entscheidungsträger beobachtet, wird die kognitive Dissonanz nicht los.
Wenn etwa der Ärztemangel verkündet wird, obwohl wir pro Einwohner mehr Ärzte haben als jedes andere EU-Land, und die Forderung nach mehr Studienplätzen erhoben wird, auch wenn wir 60 Prozent mehr Absolventen haben als im EU-Schnitt – dann passt was nicht zusammen. Oder wenn Intensivbetten überfüllt sind, obwohl wir doppelt so viele Betten haben wie die meisten in der EU. Oder wenn Wartezeiten auf orthopädische Operationen länger sind als in Großbritannien, obwohl wir die meisten Orthopädiestationen pro Einwohner haben – dann passt was nicht zusammen. Oder wenn es keine Termine bei Kassenurologen gibt, obwohl wir doppelt so viele haben wie Deutschland. Oder wenn versprochen wird, dass im öffentlichen System alle alles auf allerhöchstem Niveau, immer und überall und kostenlos kriegen, aber Kinder unterversorgt sind – dann passt was nicht zusammen. Oder auch allgemeiner, wenn jahrzehntelang ständig davon gesprochen wird, dass wir das beste Gesundheitssystem der Welt haben, um das uns alle beneiden, aber niemand auf der Welt auch nur versucht, unsere zersplitterte Kompetenzlage nachzuahmen, ganz im Gegenteil. Oder wenn festgehalten wird, dass in unserem System die E-Card reicht und keiner die Kreditkarte braucht, obwohl wir seit vielen Jahren zu den Ländern zählen, die hohe Zuzahlungen und viele Zusatzversicherte haben – dann passt was nicht zusammen.
Jede faktenfreie Behauptung und jede faktenfreie Maßnahme, denn von denen gibt es dank politischem Aktionismus ebenfalls unendliche viele, führt bei denen, die sich mit Daten und Fakten beschäftigen, zu einer kognitiven Dissonanz.
Die Frage ist: Warum funktioniert das alles im Politikgeschäft eigentlich? Es müssten ja doch irgendwie alle diese kognitive Dissonanz spüren. Ja, eigentlich schon – wenn da nicht die Geschichtenerzähler wären, die dem, der den Ball tritt, einreden, er solle nach dem Tritt sofort die Augen schließen, und ihm dann mit der Inbrunst der Überzeugung erklären, der Ball sei tatsächlich im Weltraum gelandet. Ja, auch so lässt sich eine kognitive Dissonanz lösen – mit realitätsverweigernder Verdrängung.
Wir werden das Problem nie wieder los – einfach, weil es politisch so probat ist.
Halten wir fest: Etwa 10.000 österreichische Maturanten melden sich pro Jahr für den Medizinaufnahmetest „MedAt“ an, rund 7.500 nehmen tatsächlich teil. Zur Orientierung: Es gibt 20.000 AHS-Maturanten. Kann es sein, dass 7.500 Maturanten dafür brennen, Ärzte zu werden? Selbst in den stärksten Jahren bei freiem Zugang gab es selten mehr als 3.000 Studienanfänger. Warum soll ein Test Berufungen erhöhen?
Die Zahl der Absolventen hat sich übrigens kaum verändert. Der „MedAt“-Tet hat die Drop-out-Quote gesenkt – sonst nichts. Seither haben mehrere Privatunis eröffnet. Und so ist die Zahl aller Anfänger mit mehr als 2.500 höher als zu Zeiten der Ärzteschwemme. Ab etwa 2025 werden wir jährlich mehr als 2.000 Absolventen haben – ein historischer Höchstwert, der 60 Prozent über dem EU-Schnitt liegt.
Weil eine Medizinerausbildung mit etwa 400.000 Euro Steuergeld sehr teuer ist, wurden zwischen 1995 und 2010 regelmäßig Ärztebedarfsstudien erstellt. Jede hat deutlich weniger Ärzte als bedarfsnotwendig ausgewiesen, als es real Ärzte gab, also einen Ärzteüberschuss belegt – die Zeit der Ärzteschwemme.
In den frühen 2000ern wurde gewarnt, wenn die Ausbildungskapazitäten nicht begrenzt würden, werde es tausende arbeitslose Ärzte geben. Damals ging man davon aus, dass es neben dem öffentlichen System, das ja verspricht, dass alle alles auf allerhöchstem Niveau bekommen, und zwar immer, überall und gratis, kein Parallelsystem geben könne. Eine Wahlarztversorgung wie heute schien absurd und keinesfalls erstrebenswert.
Die Ärztekammer war damals die wichtigste Stimme, die vor der Ärzteschwemme warnte: Es sei zynisch, und man müsse nun endlich der laufenden Illusionszerstörung der Jugend ein Ende setzen. Es war die Zeit der taxifahrenden Jungärzte. Doch kammerintern beschäftigte man sich um 2005 mit einer anderen Frage: der Finanzierbarkeit der Wohlfahrtsfonds. Diese Pflichtzusatzpensionsfonds der Ärzte waren damals noch rein umlagefinanziert. Versicherungsmathematische Studien hielten fest, dass entweder Pensionen gekürzt oder Einnahmen erhöht werden müssten. Pensionskürzungen kamen nicht in Frage, die einzige Chance auf höhere Einnahme bestand und besteht aber nur darin, dass immer mehr Ärzte einzahlen.
Um 2005/2006 kippten die Argumente der Ärztekammer von der Ärzteschwemme in den Ärztemangel – plötzlich und ansatzlos. Die Argumente, die 2014 zur Gründung der MedUni in Linz führten, nutzten diese versicherungsmathematischen Studien, interpretierten aber einen drohenden Ärztemangel hinein; mit Erfolg. Doch hat die zusätzliche Uni die Diskussion über den Ärztemangel beendet? Nein!
Noch merkwürdiger ist, dass die Ziele, die in diesen versicherungsmathematischen Studien genannt werden – also wie viele Ärzte zur Finanzierung der Wohlfahrtsfonds benötigt werden – übertroffen werden (2020: 48.000 vs. 45.000), doch auch das ohne Auswirkung auf den postulierten Ärztemangel. Heute arbeiten rechnerisch um 50 Prozent mehr Ärzte am Patienten als im EU-Schnitt. Weil aber wesentliche Player politisch vom Ärztemangel gut leben, wird er uns erhalten bleiben.